by Hanna S.
El Inar, März 1968
I.
Die Abendsonne warf Streifen auf ihre Körper. Irgendwo tapsten
nackte Füße über den steinernen Boden. Metall rasselte.
Das Klirren kam näher. Scheppernd wurden Blechnäpfe herein geschoben.
Nina hatte noch nicht herausgefunden, woraus der Brei darin bestand. Schon
nach den ersten Happen wollte sie es auch nicht mehr wissen. Dafür
hatte sie eine Technik gefunden zu essen, ohne dauernd Haare im Mund zu
haben. Anstatt sich über den Napf zu beugen, senkte Nina die Lippen
jetzt flach von der Seite in das Essen, kippte das Gefäß leicht
und schleckte in kleinen Portionen. In dieser Haltung drückte ihr
Busen auf den Boden, während die Hände, die mit einem Seil auf
ihrem Rücken verschnürt waren, zur Decke zeigten. Heather dagegen
steckte den Kopf tief in den Napf und schlürfte ungehemmt.
„Wie ein Tier“, dachte Nina. Doch der Hunger war stärker. Schwankend
rappelte sie sich auf, weil sie mehrfach die Balance verlor. Schnaufend
lehnte sie an der Mauer und schüttelte den Kopf. „Scheiße, scheiße“,
murmelte Nina in die Stille des Kerkers, „verdammte scheiße, wo bin
ich da bloß hingeraten! Was für ein scheiß Land!“
„Wir müssen jetzt ruhig bleiben“, sagte Heather und zwang sich
zu einem Lächeln.
„Ich bin ruhig!“, brüllte Nina. „Und zwar völlig ruhig! Ja,
ich bin richtig ruhig gestellt in diesen verdammten Fesseln!“ Mit ihren
nackten Füßen trat sie gegen eine Kette, die am Boden lag. Rasselnd
flog sie gegen die Wand, in die sie eingelassen war. Dann setzte
sich Nina neben Heather. „Wenn uns der Bulle im Hafen nicht erwischt hätte,
würden wir jetzt in Tunesien am Strand liegen. Stattdessen hocken
wir irgendwo in einem nordafrikanischen Küstenkaff im Knast.“
Mit dem Fuß schob Nina den Napf weg und versuchte zu lächeln.
„Was für ne Scheiße.“
„Ruhig bleiben“, wiederholte Heather. „Daheim in Kalifornien war ich
auch mal einige Tage eingesperrt, weil mich die Bullen beim
Kiffen erwischt hatten.“
„Aber wir sind hier nicht in Kalifornien, sondern in irgendeinem Scheißland,
wo Leute angekettet werden!“ Nina sprang wieder auf und versetzte
der Kette einen Tritt.
„Hey, Heather, schau doch mal da rüber! Da in die Zelle! Siehst
du das? Das ist doch zum Schreien!“
„Schauen wir besser nicht rüber“, murmelte Heather und kniete
nieder, um ein paar Happen Brei zu schlürfen. „Hoffentlich nehmen
sie uns bald diese Fesseln ab“, sagte sie mit vollem Mund. „Mir tun schon
die Schultern weh.“
Nina presste ihre Stirn an die Stäbe. Sie konnte nicht glauben,
was sie gegenüber sah: Die Frau in der Zelle stand noch immer. Seit
Stunden. Stumm und regungslos. Ihre Hände waren mit Eisenschellen
gefesselt und hingen an einer Kette über ihrem Kopf. Die Zellendecke
war so hoch, dass die Gefangene die Arme fast ausgestreckt hatte. Sie wirkte
jung, sehr schön und schien aus Europa zu kommen. Unter dem Schlag
der blauen Cordhode lugten die Zehen hervor. Glattes schwarzes Haar fiel
weit über ihren nackten Oberkörper.
Trotz des Dämmerlichts erkannte Nina zwei Frauen, die am Boden
kauerten und ehrfürchtig an der Gefangenen hoch blickten. Ihre Füße
waren ebenso schmutzig wie der kahle Boden und so eng zusammengekettet,
dass sie keinen Schritt tun konnten. Vorsichtig, beinahe ungläubig
berührten die zwei die Cordhose der Gefangenen vor sich. Sie kannten
solche Kleider wohl nur vom Sehen. Eine trug nur ein dreckiges Hemd. Ihrer
Gefährtin diente ein fleckiger Fetzen als Lendenschurz. Ihr Oberkörper
war nackt, ebenso der Po. Beide sahen aus, als hätten sie nie bessere
Tage erlebt. In der anderen Ecke der Zelle erkannte Nina eine große
Frau mit hellbrauner Haut. Sie trug einen roten Bikini und stierte zu Boden.
Dichte, schwarze Locken fielen vor ihr Gesicht. Die schlanken Beine streckte
sie weit, sehr weit aus, stieß mit den Zehen an die Lumpenfrauen.
Ihre Füße sahen gepflegt aus, die Sohlen waren fast sauber.
Vielleicht, vermutete Nina, war sie am Pool oder am Strand verhaftet worden
und steckte seither in dieser Zelle, wo kein Platz war, um sich bei Spaziergängen
die Füße schmutzig zu machen. Die Arme hielt die Frau hinter
dem Rücken verschränkt, und das sicher nicht freiwillig.
Nina kreiste unruhig durch die enge Zelle. „Schau dir dieses Elend
an! Verdammt!“ Argwöhnisch musterte sie ihre Mitgefangene. Heather
thronte im Schneidersitz nahe bei der Gittertür, streckte ihren Oberkörper
durch und reckte den Busen vor. Sie war fast 1,80 Meter groß. Am
auffälligsten aber waren ihre Haare: hellblond und völlig verfilzt.
In den Schopf aus fingerdicken Strähnen hatte sie zwei Knoten gebunden,
andernfalls wären ihr die Dreadlocks bis zum Nabel gewuchert. Ein
blaues Tuch war kunstvoll in die Mähne geflochten. Das ärmellose,
knappe Top endete direkt unter dem Busen, ein bunter Rock verhüllte
Heathers lange Beine bis zu den Knöcheln, darunter lugten schlanke,
schmutzige Füße hervor. Lederbänder zierten die Gelenke.
Das Seil, mit dem ihre Hände auf den Rücken gefesselt waren,
schlang sich drei Mal fest um den nackten Bauch.
Als Nina auf der Fähre Heathers Bekanntschaft machte, war sie
fasziniert von der schönen exotischen jungen Frau, die barfuß
durch die Welt bummelte. Sie kannten sich noch keine fünf Tage. Zwei
davon hatten sie am Deck der Fähre verbracht, drei im Kerker. Jetzt
sah es danach aus, als würden sie länger zusammenbleiben.
Mit den nackten Zehen streichelte Heather die Kette vor sich. Massives
Metall, in die Wand eingelassen. Es folgten fünf fingerdicke, rostige
Glieder. Am Ende war eine klobige Schelle befestigt. Das offene Scharnier
starrte sie gefräßig an. Gleich würde das eiserne Maul
zuschnappen, eines ihrer Fußgelenke verschlingen und eng an die Kerkerwand
ketten.
Nina atmete tief durch und fluchte leise. Handgelenke und Schultern
begannen zu schmerzen. Sie waren vor vielen Stunden gefesselt worden, bevor
ihre Füße von der Kette losgemacht wurden. Das war der Preis
dafür, auf den vier Quadratmetern der kahlen Zelle laufen zu dürfen.
„Die da drüben tragen offenbar dauernd Ketten. Hoffentlich blüht
uns das nicht!“
Heather warf einen kurzen Blick durch die Gittertür. „Ey!“, rief
sie, „die Dame da ist ja oben rum ganz nackt! Cool! Erinnert mich an zu
Hause. Ich hab nämlich den letzten Sommer in so einer Kommune gelebt.
Da sind wir alle fast nur nackt gelaufen. Wenn wir ins Dorf sind, haben
wir uns nur einen Rock oder eine Hose angezogen.“ Heather lächelte
in die Dunkelheit. „Da haben diese Spießer immer blöd geschaut,
als ich mit meinem nackten Busen vor ihnen stand. Das war so geile Rebellion!“
Nina hörte schon lange nicht mehr zu, wenn Heather drauf los plauderte:
Sie sah an sich herab: Ihre Jeans war dreckig, ebenso ihr Hemd und die
Füße. Ihre Turnschuhe hatte sie sofort abgeben müssen.
Slip und BH hatten die Wärterinnen ebenso an sich gerissen. Heather
war da besser davongekommen, denn sie besaß weder BH noch Slip. Und
Schuhe sowieso nicht.
Heather lächelte, doch ihre Mundwinkel hingen herab. Nina wusste,
dass sie Angst hatte, es aber nicht zuzugeben wagte. Sie plapperte gegen
die Beklemmung.
„Und du warst wirklich schon mal im Gefängnis?“
„Ja ja“, brummte Nina. „Wegen ein paar Einbrüchen. Und davor in
Heimen für böse Mädchen. Bin eben erst getürmt. Komm
sozusagen direkt aus dem Knast. Und lande gleich wieder hinter Gittern.
Echt klasse.“
„Aber du bist doch erst … 16, oder?“
„Na und?“, murmelte Nina. „Alt genug, um eingesperrt zu werden. Aber
im Vergleich zu diesem Loch hier war das Gefängnis in Deutschland
echt Luxus. Wie war es denn bei dir in Kalifornien im Knast?“
„Ach ja. Wir Hippies haben es natürlich immer drauf angelegt,
die Spießer zu ärgern. Also haben wir mit allem rechnen müssen.
Auch mit dem Knast. Es war aber schon cool, wie ich vor dem Richter gestanden
bin, natürlich barfuß, is ja klar, und den Kerl frech
angelächelt habe. Okay, eingesperrt war ich nur ein paar Tage. Aber
gefesselt haben sie mich für jeden Schritt außerhalb der Zelle.
Handschellen auf dem Rücken. Auf dem Weg zum Richter musste ich sogar
Fußfesseln tragen. Das fühlte sich echt scheiße an! Warmer
Boden unter den Füßen, aber gleichzeitig das kalte Metall über
den Knöcheln! Und dann die kleinen Schritte, die man nur machen kann.
Überleg mal: Nackte Füße in Ketten - das ist ja ein totaler
Widerspruch! Aber ich habe es überstanden.“
Nina nervte Heathers Geplauder. Nackte Füße in Ketten, ein
Widerspruch? Nina sah hier nichts als nackte Füße in Ketten.
Was glaubte diese Hippie-Braut eigentlich? Dass Ketten und Kerker nur gut
gemeinter Ermahnung dienten? Sie waren hier nicht in der zivilisierten
Welt. Hier hatten Sträflinge nichts zu lächeln, das war ihr längst
klar. Dennoch spürte Nina Neid. Das Leben der Amerikanerin war wesentlich
lustiger verlaufen als ihr eigenes. Auch wenn das jetzt vermutlich keine
Rolle mehr spielte. Was sie erwartete, würde alles andere als lustig
sein. Grimmig fixierte Nina das schwere Eisen zu ihren Füßen.
Da sitze ich nun, dachte sie, irgendwo in Nordafrika, und werde gleich
an eine dreckige Wand geschmiedet.
„Ich hätte nie herkommen dürfen.“ Nina vergrub das Gesicht
in den Händen. „Ich will endlich leben!“, knurrte sie. „Und jetzt
hocke ich schon wieder im Loch. Super.“
„Ob sie uns anlangen werden? Was meinst du?“ Auf einmal sah Heather
ernst aus.
„Glaube ich schon. Aber vorher werden sie uns ausziehen. So wie die
da in der Zelle gegenüber.“ Nina erschrak über ihre eigenen Worte,
denn nicht nur Heather sah sehr sexy aus, auch sie wusste um ihre Attraktivität.
Ihr Gesicht war schmal, große dunkle Augen fesselten alle Betrachter,
nicht minder Ninas volle Lippen. Schwarzes Haar fiel ihr über die
Schultern. Zwar maß sie kaum 1,60, war aber spektakulär gebaut.
Stattlicher Po, die Taille schmal, ganz anders der Busen. Ihr einziger
Makel war eine längliche Narbe knapp über dem linken Mundwinkel
– eine Erinnerung an Ninas ersten Aufenthalt im Gefängnis.
„Sag mal, hattest du eigentlich noch mehr Hasch in deinem Rucksack?“
Heather schwieg lange. Wie abwesend starrte sie an die Decke. Unruhig
rutschte sie an die Wand.
„Mach den Mund auf, Heather! Wie viel Shit hattest du dabei!“
„Schon noch was“, murmelte sie und senkte den Blick.
„Wie viel!“ Nina schrie beinahe.
„Na ja, so einen Batzen halt. Was weiß ich. 30 Gramm oder so“.
Heather vermied es, Nina in die Augen zu schauen.
„Und das sagst du mir jetzt erst!“, brüllte Nina.
Heather duckte sich, als Nina vor ihr aufsprang. Offenbar erwartete
sie, Schläge zu bekommen. Doch Nina beherrschte sich im letzten Moment.
Es war gut, dass sie gefesselt war.
II.
Mit schaurigem Quietschen ging die Tür der Zelle gegenüber
auf. Die Wärterinnen kamen zu dritt. Nina stutzte erst, denn auf den
ersten Blick wirkten sie fast selbst wie Gefangene: Ungepflegte Frauen,
die verschlissene Röcke trugen und barfuß gingen. Eine war groß,
hatte kurzes zerzaustes Haar. Ein weites Unterhemd schlabberte um ihren
mageren Körper. Hinter ihr ging eine kleine pummelige Frau. Stämmige
kurze Beine steckten in einem Rock, der knapp über ihren dicken Po
reichte. Die dritte wirkte stämmig, ein langer Zopf baumelte über
dem muskulösen Rücken, ihr nackter Bauch war ebenso durchtrainiert,
das schwarze Top saß fest auf ihrem Busen. Kälte drang aus ihren
Augen
Die Gefangene mit den hochgeketteten Armen erschrak nicht, als sie
die Peitsche sah. Wie auf Befehl kehrte sie den Wärterinnen den Rücken
zu und senkte den Kopf, sie wusste, was nun passieren würde. Der erste
Schlag streifte ihren Körper nur. Die Lumpenfrauen duckten sich entsetzt,
als das Leder über ihre Köpfe sauste. Auch der zweite Hieb saß
nicht richtig; statt eines Knalls setzte es nur ein mattes Klatschen auf
dem Rücken des Mädchens, das heftig zusammenzuckte.
„Schmeißt diese Strand-Schlampe raus! Ich brauch Platz zum Ausholen!“,
befahl die Frau mit der Peitsche. Ihr Gesicht war verzerrt, sie bebte vor
Erregung. „Und ihr zwei elenden Bettlerinnen braucht euch gar nicht zu
ducken! Ihr kommt auch noch dran!“
Drei Schläge später lag die langbeinige Bikini-Frau bäuchlings
im Gang. Nina konnte die Handschellen auf ihrem Rücken sehen. In der
Zelle begann die Gefangene in der Cordhose zu keuchen, zwang sich, nicht
zu schreien. Umso inbrünstiger schrie die Wärterin bei jedem
Hieb. Schweiß trat auf ihre Stirn. Präzise trafen die Schläge.
Klatschten lauter, bis sie knallten. Echos tönten gellend durch den
Gang. Es pfiff in der Luft. Noch stand ihr Opfer aufrecht, wankte leicht
hin und her, doch ihr Kopf sank immer tiefer. Die gefesselten Hände
zu Fäusten geballt.
Die Frau mit dem zerzausten Haar grinste durch die Gittertür.
Die Bettlerinnen in der Ecke klammerten sich aneinander, zitterten und
schluchzten.
Die Gefangene im Gang presste das Gesicht zu Boden, schweigend. Sie
zeigte auch keine Reaktion, als sich die kleine Wärterin grob auf
ihren Rücken schwang und an dem Bikini zu nesteln begann. Sie tat
sich schwer, das Oberteil zu öffnen. So wie die Frau aussah, kannte
sie BHs nur aus der Ferne. Als sie es endlich geschafft hatte, hielt sie
das Kleidungsstück triumphierend in die Luft, streifte dann in einer
einzigen Bewegung den Fetzen ab, der ihren Busen bedeckte, und versuchte
mit schallendem Lachen, ihre Brüste in den Bikini zu pressen.
Auch die Frau an der Peitsche hatte mittlerweile das Top ausgezogen
und es achtlos hinter sich geschmissen. Ihr schweißüberströmter
nackter Oberkörper schimmerte im fahlen Licht des Kerkers. Während
sie eine Zigarette rauchte, begutachtete sie das Blut auf dem Rücken
ihres Opfers. Ein dichtes Netz dünner Rinnsale bahnte sich den Weg
zu Boden. Die Gefangene hatte Mühe, sich auf den Füßen
zu halten, sie atmete unregelmäßig, das Keuchen ging in leises
Wimmern über. Nina war froh, nicht in das Gesicht der armen Frau sehen
zu müssen.
Die Aufseherin warf die Zigarette hinter sich und schnappte sich wieder
die Peitsche. Sofort kreischten die Bettlerinnen. Hilflos hielten sie die
Arme vors Gesicht, als das Leder auf sie niedersauste, ertrugen es aber
nicht lange. Fünf Hiebe später knieten beide mit dem Gesicht
zur Wand und wimmerten. Die Frau im Lendenschurz traf es am härtesten.
Striemen überzogen ihren nackten Rücken. Das Hemd ihre Gefährtin
hielt dagegen Stand. Deshalb zielte die Wärterin auf deren ungeschützten
Po. Das Schreien der Häftlinge gellte.
„Warum sind diese Gören nur an den Füßen gefesselt?“,
brüllte die Aufseherin, „sind uns die Ketten ausgegangen, oder was?“
Die dürre Wärterin erschrak und rannte los. Ihre nackten Füße
klatschten auf den Boden. Als sie mit Handschellen zurückkam, prügelte
ihre muskulöse Kollegin auf die Frau in der Cordhose ein. Zwei Hiebe,
dann sackten ihr die Knie weg.
Mit dem Stiel der Peitsche fuhr die Chefin sachte über das Hemd
einer Lumpenfrau. „Zieh diesen Fetzen aus!“, zischte sie, „wäre doch
gemein, wenn nur deine Freundin hier nackt rumsitzen muss.“
Zitternd und hastig folgte die Gefangene.
„Legt euch auf den Bauch und dreht die Hände auf den Rücken!
Dreckmäuse wie ihr gehören gefesselt! Es ist echt unglaublich,
dass wir das bisher versäumt haben.“
Die Kurzhaarige kniete nieder und kettete die Handgelenke der Frauen
zusammen. Als Schikane verband sie Hand- und Fußfesseln mit einer
kurzen Kette, so dass die schwarzen Sohlen der Häftlinge zur Decke
zeigten. Jetzt wimmerten sie nicht mehr. Sie pressten die Gesichter auf
den Boden und schluchzten.
„Hey, Dickerchen“, rief die Frau mit der Peitsche ihrer Kollegin zu,
„schmeiß diese Bikini-Nutte in die Zelle und zieh ihr das Höschen
aus! Am besten, du fesselst sie damit. Wir brauchen nämlich gleich
noch ein paar Handschellen!“
Die langbeinige Gefangene verzog keine Miene, als sie in ihre Ecke
geschleift wurde. Die Kette, mit der ihre Füße aneinandergefesselt
waren, schabte über den Boden, im nächsten Moment flogen die
Handschellen davon. Sorgsam verschnürte ihr die dicke kleine Frau
die Arme mit dem Bikini-Höschen. Sie bekam nicht, wie sonst üblich,
die überkreuzten Handgelenke zusammengebunden, vielmehr legte ihr
die Wärterin die Unterarme aufeinander und verschnürte sie von
den Händen bis zu den Ellenbogen.
Stolz posierte die pummelige Wärterin in dem Bikinioberteil. Nach
langem Gefummel hatte sie es endlich geschafft, das Stück anzulegen.
„Das behalt ich! Du Schlampe brauchst sowieso keine Kleider mehr! Und zwar
für den kümmerlichen Rest deines kurzen Lebens“. Sie kicherte.
„Außerdem hast du ja noch das kesse Höschen, wenn auch an der
falschen Stelle!“
„Okay, die Kleine lassen wir noch eine Weile hängen, bevor sie
wieder die Peitsche spürt“, befahl die Chefin und hob die Handschellen
auf, die neben der nun nackten Strandschönheit lagen. Plötzlich
packte sie die dürre Wärterin und drückte sie von hinten
an die Wand. Das Grinsen erlosch. „Du musst viel lernen, bis du wirklich
eine von uns wirst!“, zischte sie ihr ins Ohr. „Noch so eine Nachlässigkeit
und du kommst wieder an deine Kette zurück, und zwar lebenslänglich,
ist das klar!“
Die Wärterin zitterte und keuchte. Man konnte einige Rippen sehen.
Sie nickte heftig.
Die Chefin drehte ihrer Kollegin die Arme auf den Rücken. „Strafe
muss sein. Nie mehr wirst du vergessen, eine Gefangene zu fesseln. Nie
mehr!“ Dann schnappten die Handschellen um die Gelenke der dürren
Wärterin. Sie ließ den Kopf hängen, in ihrem schlabberigen
Unterhemd sah sie nun noch kümmerlicher aus. „Du bleibst bis übermorgen
gefesselt!“, donnerte ihre Chefin. „Dann werden wir sehen, ob noch mal
eine anständige Wärterin aus dir wird.“
Mit der der Peitsche zeigte sie auf die pummelige Wärterin, die
die Demütigung mit breitem Grinsen verfolgt hatte. „He, Dickerchen,
du wirst deine feine Kollegin jetzt im Hof anketten. Aber vergiss nicht,
ihr die Füße zu fesseln, sonst kannst du dich gleich dazu ketten!
Davor bewegst du deinen fetten Busen da rüber und kümmerst dich
um die Hippie-Braut und die kleine Deutsche. Wird Zeit, dass die die Kette
kriegen.“
Die dralle Wärterin gehorchte und öffnete die Zellentür.
Nina und Heather knieten sofort nieder. Eisig legten sich die Metallschellen
um ihre Fußgelenke. Die Schlösser schnappten zu. Eine Ewigkeit
verging, bis die Wärterin die trickreichen Knoten der Fesseln aufbekam.
Als sie es nach einigen Anstrengungen geschafft hatte, fiel die Gittertür
nach vollendeter Umfesselung scheppernd ins Schloss.
Nina und Heather saßen still. Beide konnten ihre Beine nicht
ausstrecken, weil die Kette dafür zu kurz war. Nina lehnte mit angewinkelten
Füßen an der Wand, Heather bettete sich bäuchlings
auf den Zellenboden und ließ die Füße baumeln. Die Kette
spannte sich, hing durch, spannte sich erneut, klirrte dabei rhythmisch.
Heather hörte nicht mit dem Baumeln auf. Offenbar wollte sie
besonders cool wirken.
Nina konnte den Blick nicht von der ausgepeitschten Gefangenen lassen.
Die junge Frau atmete schwer. Die Kette, an der sie hing, knirschte.
Die Lumpenfrauen lagen auf dem Bauch, schmiegten sich aneinander, so
weit sie es in ihren Fesseln schafften. Die zusammengeketteten Füße
ragten über ihren Rücken in die Luft und berührten sich
zärtlich.
Die Wärterinnen gingen fort. Ihre nackten Sohlen klatschen auf
den Boden.
III.
Sie stand schon wieder. Wie jeden Tag. Still und tapfer. Aufrecht und
wunderschön. Immer mittags ketteten die Wärterinnen die Hände
der Frau an der Zellendecke fest. Stundenlang. So stand sie und schwieg.
Mit trotzigem Blick. Das schwarze glatte, in der Mitte gescheitelte Haar
fiel vor ihren nackten Nabel.
„Hey, du“, wisperte Nina. Sie presste das Gesicht an die Gittertür.
Doch die Frau in der Cordhose schwieg. Auch die anderen Gefangenen
in der Zelle reagierten nicht. Eine Lumpenfrau nagte an einem Stück
Brot vor ihr auf dem Boden. Ihre Gefährtin stierte ins Nichts. Immer
noch war sie nackt. Das Hemd hatte sie nicht anziehen könne, weil
ihre Hände und Füße weiterhin in Eisen auf dem Rücken
lagen. Die langbeinige Gefangene lehnte stumm und missmutig am Gitter.
Nina konnte die Fessel auf ihrem Rücken sehen. Die Frau saß
wie versteinert. Sie wusste offenbar, was sie erwartete.
„Hey du, in der Cordhose!“ Nina versuchte es auf Französisch,
das sie einigermaßen beherrschte. „Miese Stimmung bei euch, was?“
„Allo!“, sagte Frau gegenüber. Endlich rührte sie sich. Sie
war offenbar Französin. Die Kette über ihrem Kopf rasselte. „Ihr
seid doch nicht etwa Touristinnen? Wie kann man nur so blöd sein und
nach Tabargha reisen?“
„Ist echt dumm gelaufen, war nicht so geplant. Aber wie eine Einheimische
schaust du auch nicht gerade aus.“
„Ich bin Französin. Tabargha war mal französische Kolonie.
Mein Name ist Aurelie. Du bist aus Deutschland, ja?
„Hallo! Ich bin die Nina aus Köln.“
„Dich mögen sie hier wohl besonders.“
„Äh, wieso eigentlich?“ Nina war verdutzt.
„Weil sie dir das Hemd nicht weggenommen haben und dich nicht quälen.“
Aurelie lächelte.
„Nicht quälen . . .“, murmelte Nina. Laut fügte sie an: „Warum
quälen sie dich?“
„Weil ich eine Revolutionärin bin!“
Nina stutzte. „Äh, a ja. Und was macht man da so?“
„Sklavenhalter verjagen!“ Aurelie wurde laut, ballte die Fäuste,
bis die Kette klirrte. „Und für Freiheit kämpfen!“
„Na ja, äh“, sagte Nina, „da hast du es ja schon recht weit gebracht,
ich mein’, mit der Freiheit und so.“
Die Französin riss den Mund auf.
„Verdammt!“, dachte Nina und lächelte verlegen, „das war echt
der falsche Spruch.“
„Was hast du denn verbrochen?“, fragte sie nach kurzem Schweigen.
Aurelie zog die Mundwinkel herab. „Ich gehöre einer Rebellengruppe
an. Deshalb versuchen sie, die Namen meiner Freunde aus mir rauszuprügeln.
Doch das werden sie nicht schaffen!“
Sie sprach langsam, fast gequält. Atmete nach jedem Satz schwer.
Die junge Frau musste höllische Schmerzen leiden.
Nina versuchte, ihr ein Lächeln zu schenken: „Sie nehmen dich
aber echt hart ran.“
„An die Peitsche habe ich mich gewöhnt. Jedenfalls hier. In einem
anderen Knast haben sie mich mal mit der Katze geschlagen. Das war die
Hölle!“
„Katze?“, krächzte Nina.
„Eine Peitsche mit vielen Schwänzen. Da denkst du, es zerreißt
dich, dir explodiert der ganze Rücken. Brutal. Aber dieser kümmerliche
Lederriemen, den die Schlampe hier schwingt, ist leichter zu ertragen.“
„Na, wenn du das sagst.“ Nina fröstelte. Es klang nicht sehr überzeugend,
was die Gefangene mit dem zerschundenen Rücken von sich gab.
„Und was ist mit den anderen in der Zelle?“
Aurelie zuckte mit den Schultern, eine Bewegung, die schauerliches
Kettenrasseln verursachte. „Das sind Straßendiebinnen wie du siehst.
Bis auf die Schöne da. Sie war Tänzerin in einem Club und hat
am Strand Touristen beklaut. Wenn meine Leute nicht bald was tun, werden
wir gemeinsam zum Galgen marschieren.“
„Touristen, Galgen“, stammelte Nina, „wie können Touristen in
ein Land kommen, in dem Diebe aufgehängt werden? Was für ein
Land ist das hier nur?“
Aurelie blickte eisig. „Ach Kleine, du wirst noch Augen machen in unserem
Tabargha! Du wirst Dinge erleben, die du dir nicht vorstellen kannst!“
Nina war froh, als sie plötzlich von Lärm aufgeschreckt wurden.
Am Ende des Gangs kreischten zwei Mädchen. Wütend stemmten sie
sich gegen die Wärterinnen. Weil ihre Hände auf den Rücken
gefesselt waren, versuchten sie zu beißen. Die Chefin griff zur Peitsche.
Es knallte, doch die Prügel machten das Geschrei nur schlimmer. Die
Tür schwang auf. Nach zähem Ringen waren beide in Ninas und Heathers
Zelle angekettet. Dort tobten sie weiter. Nina stand erschrocken in der
Ecke. Nicht minder entsetzte sie der Anblick der Mädchen: Die Haare
hingen beiden bis zum Po, Dreck klebte an den verschwitzten dunkelhäutigen
Leibern. Sie sahen aus, als hätten sie ewig in der Wildnis gelebt.
Die eine schien höchstens 16 Jahre alt, ihre Gefährtin kaum älter.
Das Schlimmste: Die Mädchen waren nackt. Völlig nackt.
„Na, jetzt wird‘s aber eng hier“, brachte Heather gerade noch hervor,
ehe die Jüngere mit gefletschten Zähnen auf sie losging. Heather
taumelte an die Wand und musste hilflos zusehen, wie ihr die Angreiferin
erst in den Busen biss und dann nach ihrem Top schnappte. Das Mädchen
zerrte daran mit solcher Kraft, dass es riss. Heather schrie. Reflexartig
versuchte sie, ihre Brüste zu bedecken. Doch sie konnte nur an dem
Seil zerren, das ihre Hände am Rücken verschnürte. Die Ankunft
der Mädchen hatte sie beim Zellenspaziergang überrascht. Das
Top segelte zu Boden. Ganz und gar fassungslos starrte Heather auf ihren
nackten Oberkörper. Ihre Brüste wippten.
Nina zögerte nur kurz, dann versetzte sie der Kleinen harte Schläge
mit dem Fuß, bis diese stöhnend am Boden lag. Sie hatte im Gefängnis
viel gelernt. Nina tänzelte. Mit auf den Rücken gefesselten Händen
war es nicht leicht, das Gleichgewicht zu halten. „Sei froh, dass ich barfuß
bin“, dachte sie, „hätte ich Schuhe an, wären deine Rippen jetzt
gebrochen!“ Vier Mal trat sie nach. Endlich gab das Mädchen Ruhe.
Eine Ewigkeit sprach niemand. Irgendwann wurden alle von den Handfesseln
befreit. Dann saßen die vier angekettet nebeneinander. Die Kleine
keuchte. Ihre Gefährtin streichelte sie und fixierte Nina dabei stumm
aus dunklen Augen. Vorwurfsvoll. Nina sah betreten weg. Vielleicht hätte
sie nicht so hart zuhauen sollen.
Heather starrte erschrocken auf das zerfetzte Top. „O my God“, jammerte
sie. „Ich krieg‘ doch hier kein neues Oberteil! Die lassen mich halbnackt
hocken!“
„Was willste denn“, brummte Nina. „Erzählst doch dauernd, dass
du in Amerika die ganze Zeit deine nackigen Titten blöden Spießern
ins Gesicht gereckt hast.“
„Ja, aber freiwillig!“, klagte Heather. „Ich will selber entscheiden,
ob ich nackt bin. Und hier will ich ganz bestimmt nicht mit nackten Titten
herumsitzen!“ Demonstrativ versuchte sie, ihren Busen zu bedecken, aber
ihre Hände waren dafür zu klein.
„Klar, eine erotische Atmosphäre ist das hier nicht gerade“, sagte
Nina.
„Wir wollen auch Kleider tragen!“ Der Satz kam überraschend. Es
war die ältere der beiden nackten Mädchen. Sie sprach Englisch.
Heather und Nina stutzten.
„Auf der Farm haben sie uns nie Kleider gegeben“, fuhr die Gefangene
fort. „Später im Kerker natürlich erst recht nicht. Ein Jahr
haben wir in einem Keller in der Vorstadt gelebt, sind nur nachts raus,
weil wir uns geschämt haben.“
„Echt wahr? Na ja, ihr seht nicht so aus, als würdet ihr lügen.“
Nina wusste nicht, ob sie aus schlechtem Gewissen wegen der Prügel
für die Kleine oder aus Solidarität zu Heather handelte, als
sie spontan ihr Hemd auszog und es dem Mädchen reichte. Die band es
sich sofort um die Hüfte.
„Danke!“ Sie strahlte. „Ich heiße Astosha.“
„Äh, du kannst das Hemd auch anziehen“, sagte Nina, „so wie bei
mir … vorhin.“
„Ach, Hauptsache, ich bin nicht mehr nackt!“ Astosha lachte.
„Wie?“ Nina stutzte.
„Was fragst du?“ Auch Astosha verstand nicht.
Nina starrte sie an. „Eben hast du gesagt, dass ihr euch geschämt
habt ohne Kleider. Jetzt hast du ein Hemd, ziehst es nicht an und behauptest,
nicht mehr nackt zu sein. Das soll noch einer kapieren! Was seid denn ihr
für ein irres Volk?“
Astosha antwortete mit ernster Stimme: „Niemand kann meine Möse
sehen, also bin ich nicht mehr nackt, ist das nicht klar?“
„Aber das Hemd ist lang genug, es reicht bis zu den Oberschenkeln!“
„Und mir reicht es so!“, sagte Astosha trotzig. „Weißt du, ich
bin das nicht gewöhnt.“ Etwas betreten fingerte sie an ihren Fußschellen
herum. „Ich, also, äh“, begann sie, „ich kenn das nicht, ich meine,
ein Hemd. Das kannst du dir vielleicht nicht vorstellen, aber ich bin sozusagen
mit nacktem Oberkörper aufgewachsen. Das war immer so. Ich stamme
aus einer Bettlerfamilie, und wir Geschwister haben nie irgendein Hemd
besessen. Schuhe sowieso nicht. Hat mich nie gestört. Nur ein Stück
Stoff um die Hüfte wollte ich immer. So viel Stolz hab ich!“
Nina blickte bei diesen Worten erschrocken auf ihren eigenen Busen
und bedauerte ihre Entscheidung im selben Moment. Jetzt wurde sie sich
der Konsequenz bewusst: Wann würde sie wieder ein Hemd bekommen? Sie
fühlte Befangenheit. Ihre Brüste ragten weit, geradezu herausfordernd
in die Zelle. Instinktiv kreuzte sie die Arme über dem Busen, spürte
den Schweiß auf der Haut. Luft traf sie überall. Irritiert sah
sie an sich herab: Obwohl sie keinen Gürtel trug, saß die Jeans
eng auf dem Bauch. Der Stoff mündete direkt in der weißen Haut,
nichts als bleiche, straffe, bloße Haut.
„Ich muss total bekloppt sein!“, ging es Nina durch den Kopf. Andererseits,
überlegte sie, saß sie jetzt nicht als einzige mit nacktem Oberkörper
im Loch. Diese sichtbare Sonderstellung hätte problematisch werden
können. Außerdem freute sich das kleine Schmuddelmädchen
unbeschreiblich. Nina zögerte kurz, blickte noch einmal an sich herab
– dann ließ sie die Arme sinken. Ihr Busen wippte völlig unbeschwert.
Was für ein eigenartiges Gefühl.
„Na, du bist vielleicht drauf!“, rief Heather. „Gibst diesem Biest
einfach so dein letztes Hemd! Okay, deine Titten können sich immerhin
sehen lassen. Die sind ja dicker als meine beiden Jungs!“
Heather lächelte. Endlich hatte sie ihren Humor wiedergefunden.
Abgesehen davon hatte sie Recht.
Astoshas Gefährtin, die bissige Kleine, versuchte sofort, mit
dem Rest von Heathers Top ihre Scham zu bedecken. Es misslang. Das Stück
war zuvor schon unverschämt knapp gewesen. Zerfetzt taugte es zu gar
nichts mehr. Die Kleine fluchte in der Landessprache und blieb nackt.
„Chlorisse ist erst 15“, sagte Astosha, „ich bin schon 16, deshalb
pass ich auf sie auf. Ihre Mutter sitzt nämlich seit Jahren im Kerker.
Meine übrigens auch.“ Liebevoll strich das Mädchen über
Ninas Hemd. Astosha war eine nordafrikanische Schönheit mit riesigen
schwarzen Augen in einem schmalen, scharf geschnittenen Gesicht. Ihre unglaubliche
Lockenmähne faszinierte Nina sofort: Dutzende und Aberdutzende dünne,
streng geflochtene Zöpfe quollen förmlich aus ihrem Kopf. Die
Enden reichten bis zu ihren Hüften. Alle paar Augenblicke musste die
den Kopf nach hinten werfen, um ihren Vorhang aus Rastas wenigstens ein
Stück weit zu lüften, damit sie etwas sehen konnte. Sie hätte
es machen sollen wie Heather mit ihrer Dreadlock-Mähne, dachte Nina,
den ganzen Schopf packen und zwei Knoten reinwinden. Vielleicht aber wollte
sie das nicht. Wer nackt sein muss, mag langes Haar wie Kleidung empfinden.
Chlorisse, die Jüngere, war ebenfalls ein hübsches Mädchen,
wirkte aber härter als die filigrane Astosha. Die Schultern breit,
ebenso die Hüfte, die langen Beine kräftig. Chlorisses Busen
war für ihr Alter weit entwickelt.
„Ihr wart schon mal im Gefängnis?“ Heather klang erstaunt.
„Zwei Jahre“, erzählte Astosha. „Weil wir Brot geklaut haben.
Bei uns kommen auch Kinder in den Kerker. Zuerst haben Chlorisse die Ketten
gar nicht gepasst. Sie war ja noch so klein.“
„Warum sprichst du so gut Englisch?“, fragte Nina.
„Das haben mir zwei Mädchen aus Australien beigebracht, die mit
uns Loch saßen. Touristinnen. Wir waren an dieselbe Wand gekettet,
da hatten wir Zeit zum Lernen.“
Nina horchte auf. „Weshalb waren die Australierinnen eingesperrt?“
„Weil sie sich mit Männern eingelassen haben. Küssen und
so. Wo sie herkamen, soll das ganz normal sein. Aber bei uns hat man sie
als Huren angeklagt.“
„Was ist aus den beiden geworden?“
Astosha schwieg einen Moment. Leise antwortete sie: „Wir mussten alle
zusehen.“
Entsetzt sah Nina zu Heather. Die Amerikanerin starrte zurück.
Mit eisigem Blick.
IV.
El Inar, Juni 1968
Die Sonne traf die Frauen wie ein Schlag. Dann traf sie die Peitsche
der Aufseherin. Kurz und hart. Blinzelnd taumelten Nina und Heather vorwärts.
Die Nacht im Kerker war sehr lang gewesen. Eine Ewigkeit im Dämmerlicht.
Vier Quadratmeter zwischen Mauern. Umso härter packte sie die
Sommerhitze. Der Boden des Gefängnishofs glühte, unbarmherzig
stach die Sonne auf ihre nackten Oberkörper. Rhythmisch knallte die
Peitsche. Sie zuckten, duckten sich, bissen auf die Zähne. Ihre Rücken
brannten. Sie hasteten voran.
Mit schmerzenden Augen musterten Nina und Heather die Umgebung. Sie
konnten nicht viel sehen, weil ihnen der Schweiß in die Augen troff.
Ein Stück weiter stand ein geräumiger Käfig. Gegenüber
lehnten Frauen in Häftlingshosen an der Wand. Einige sahen europäisch
aus, doch mit ihren tief braun gebrannten bloßen Oberkörpern
ähnelten sie den Afrikanerinnen um sich herum. Handschellen ketteten
allen die Hände über dem Kopf an Ringe in der Mauer. Gequälte
Gesichter blickten ins Nichts. Wenigstens standen sie im Schatten.
Der schrecklichste Anblick bot sich gegenüber: Das Podest war
schmal, etwa einen Meter hoch. Darauf eine Querstange. Darunter standen
die Lumpenfrauen. Der einen hatten sie den Lendenschurz weggenommen und
die Hände streng über dem Po verschnürt. Sie regte sich
nicht.
Nina blinzelte. Etwas verschwommen sah sie die schwarzen Fußsohlen
der nackten Gefangenen. Wieder blinzelte sie. Stutzte. Wieso konnte sie
die Sohlen sehen? Nina ging in die Hocke, strich sich unbeholfen mit dem
Knie Schweiß von der Stirn. Bald sah sie ein bisschen klarer, riss
die Augen auf, schrie entsetzt – und drehte sich weg, als sie erkannte:
Die Frau stand nicht. Ihre zierlichen Füße pendelten langsam,
ganz langsam knapp über dem Boden hin und her.
Deshalb konnte jeder ihre Sohlen sehen.
Die zweite Bettlerin stand gefesselt neben ihrer Gefährtin, zwang
sich wegzusehen. Ihr nackter Leib schlotterte. Dahinter warteten die Chefin
und die dürre Wärterin, je eine Zigarette in der Hand.
Nina und Heather kauerten im Staub, zitternd. „Verdammte Scheiße“,
murmelte Nina. O, Mann, was für ne Scheiße! Schöne
Scheiße, in der wir da gelandet sind.“
Heather weinte hemmungslos. „Es tut mir so leid!“ Ihr einst bodenlanger
Rock hing in Fetzen, die Lockenmähne wucherte inzwischen bis zu den
Hüften und berührte beim Sitzen den Boden. „Wir hätten nie
hierher kommen dürfen.“ Schluchzen erstickte ihre Stimme. Zitternd
wimmerte sie „Die werden uns genauso aufhängen wie dieses arme Mädchen.
Ich weiß es.“ Dann brüllte sie: „Wir werden hängen! Ich
weiß es!“
„Keep cool“, sagte Nina tonlos. „Noch sitzen wir.“ Und das vermutlich
sehr, sehr lang und sehr, sehr unbequem. Aber das dachte Nina nur.
Drei Frauen wurden grob vorbeigezerrt. Mit Seilen zusammengefesselt.
Zwei waren zerlumpt, fast barbusig und dreckig, wahrscheinlich Straßendiebinnen.
Die dritte Frau tnd ihren nackten Busen. Was für ein eigenartiges
Gefühl, vor so vielen fremden Leuten derart entblößt zu
sein. Im Freien! Am helllichten Tag! Andererseits hatte sich Nina
nach den Wochen im Loch fast daran gewöhnt, dass ihre Brüste
völlig unbeschwert umher baumelten. Es hatte – aller Scham zum Trotz
– etwas Befreiendes, fortan mit nacktem Oberkörper leben zu müssen.
Das Wissen darum, so bald auch kein Hemd mehr zu bekommen, steigerte zwar
Ninas Beklemmung, sorgte aber zugleich für ein aufregendes Kribbeln,
das Nina ebenso irritierte wie gefiel. Was sie empfand, war auf paradoxe
Art angenehm, ja, erregend. Nina versuchte, klar zu denken. „Wohin ich
auch gehe“, ging es ihr durch den Kopf, „egal, was ich mache: Mein Oberkörper
ist dabei ununterbrochen nackt! Wahnsinn!“
Sie erschrak. „Fängst an, irre zu werden. Kommt davon, wenn man
monatelang im Kerker hockt.“ Sie beschloss, den Hofgang zu genießen,
sich zu freuen, dass Bauch und Busen die Blässe verloren. Leider lagen
ihre Arme im Schatten: Das Gefühl der fest verschnürten Handgelenke
auf dem Rücken trübte Ninas Freude an der Sonne. Die Striemen
begannen stärker zu brennen. Nina verzog den Mund und versank in schlechter
Laune.
„Hey du!“, begann es hinter ihr wieder. „Du in der Hose!“
„Maul halten. Hab jetzt keine Zeit.“
„Warte nur, du Schlampe, wenn du in unsere gute Stube musst!“, zischte
die Frau.
„Okay, okay“, sagte Nina, „es scheint echt nicht schön zu sein
bei euch.“
„Was Schlimmeres hast du noch nie erlebt! Ich sitze schon seit vier
Jahren in diesem verdammten Käfig. Und die meisten anderen hier noch
länger.“
Nina hatte Mühe, ruhig zu bleiben, denn der Blick in den Käfig
war Furcht erregend. Die Gefangene hatte sie tatsächlich mit „du in
der Hose“ angesprochen. So war das hier: Eine Hose wurde zum besonderen
Merkmal. Kein Wunder in einem Knast, wo Gefangenen grundsätzlich
barbusig eingesperrt wurden. Oder nackt. Wo selbst die Wärterinnen
gern den Oberkörper entblößten. In Deutschland hätte
die Anrede eher geheißen „Hey, du Nackedei!“ Aber das war in einer
anderen Welt.
Nina beschloss, sich versöhnlicher zu zeigen: „Entschuldigt. Ich
hocke seit Monaten in einem finsteren Loch, weiß nicht wieso, muss
halbnackt rumrennen, bin gefesselt wie eine Schwerverbrecherin und gerade
ausgepeitscht worden. Ausgepeitscht! Ich habe jetzt keinen Bock auf Konversation!“
Böse fixierte Nina ihre Gesprächspartnerin. Ihr Alter vermochte
sie nicht zu schätzen. Sie war dunkelhäutig und breitschultrig,
volle Brüste standen in Gegensatz zu ihrem mageren Körper. Die
Hände waren eng vor dem Bauch zusammengekettet, ebenso lagen ihre
langen schmalen Füße in schwerem Eisen. Zusätzlich verband
eine kurze Kette Hand- und Fußfessel. Sie umfasste einen Gitterstab.
Dichte Locken fielen ihr bis vor den Bauch.
„So! Unsere kleine Maus aus Deutschland ist nicht gut drauf! Ja so
was!“ Die nackte Schwarze fletschte die Zähne. „Und deine blonde Freundin
ist auch ganz traurig, weil ihr Röckchen zerrissen ist, was? Ihr Dummerchen
wisst ja gar nicht, wo ihr seid! Und wo ihr endlose Jahre leben werdet!
Ach, was heißt leben!“ Die Frauen um sie herum grunzten zustimmend.
Immer mehr leere Augen starrten Nina an.
Wie die Frau im Käfig schon da hockte, ließ Nina schaudern:
Nur die Füße berührten den Boden, die Knie hielt sie weit
gespreizt, so dass sich ihre Scheide in aller Pracht öffnete. Es störte
sie nicht. Entweder, die Gefangene war schamlos, oder aber schon völlig
abgestumpft. Die Ellenbogen stützte sie auf die Knie, die Handschellen
klirrten, die Kette zwischen Hand- und Fußketten senkte sich in ihre
Scheide.
„Seit Jahren trage ich diese verdammten Ketten und kann nur kriechen!
Seit Jahren! Nichts, nichts, nichts bekommen wir zu tun als uns um hartes
Brot zu prügeln. Wir sitzen hier nur aufeinander und starren durch
die Stäbe. Nicht ein Mal haben sie uns rausgelassen. Wir leben wie
Tiere! Schau uns an! Wie Tiere!“
Wie Hennen in einer Legebatterie, wollte Nina sagen. Aber sie wusste
nicht, wie das auf Französisch hieß und ob es so was in Tabargha
überhaupt gab. Dann sah sie ein Zeichen, das in seitlich in
die linke Pobacke der Gefangenen eingebrannt war: „36-52-II“. Sie hatte
keine Ahnung, was das bedeutete, es sah aber nicht gut aus. Auch die anderen
Frauen im Käfig trugen ähnliche Zeichen.
„Hilf uns!“ Die Gefangene hob die Hände, soweit es die Kette zuließ.
„Du sitzt doch in der Zelle gegenüber von Aurelie. Was sagt sie? Wann
kommt die Revolution?“
„Schon wieder diese Revolution!“, Nina warf einen wütenden Blick
in Richtung Käfig, „was habt ihr denn dauernd mit eurer scheiß
Revolution? Alle labern von Revolution. Seht ihr irgendwen, der gegen diese
ganze Scheiße hier was unternimmt?“
„Die Revolution kommt bestimmt! Es ist unsere einzige Chance!“
„Ach was, sie werden uns alle aufhängen so wie dieses Mädel
eben. Nix Revolution!“
„Die Revolution wird uns befreien. Sie muss uns befreien!“
„Diese Aurelie kriegt jeden Tag die Peitsche und sicher bald den Strick.“
Nina brüllte: „Ich glaube, eine Revolution sieht anders aus!“
Die Frau im Käfig ballte die gefesselten Hände. „Niemals
wird sie aufgeben! Dafür ist Aurelie viel zu tapfer!“
Peitschenknalle aus der Ferne unterbrachen sie. Wild um sich schlagend
trieben die Wärterinnen neue Gefangene durch den Hof. Nina hatte nie
so viele Ketten an einem Körper gesehen: Die Häftlinge kamen
nur langsam vom Fleck. Sechs nackte Frauen schlurften scheppernd vorwärts.
Dicke Ketten verbanden ihre Fußgelenke. Massive Schellen fesselten
ihre Hände auf den Rücken. Allen war eine Kette um den Bauch
geschlungen. Weitere Ketten schwangen zwischen den Handschellen jeder Frau
und der Bauchkette der Gefangenen dahinter. Dem nicht genug: Sie waren
zusätzlich an eisernen Ringen um ihre Hälse zusammengekettet.
Mit gesenkten Köpfen wankten sie vorwärts. Für den kurzen
Weg zum Käfig brauchten sie eine Ewigkeit.
„Scheint noch enger zu werden bei euch da drin“, sagte Nina. Doch der
Satz ging im Gebrüll unter, das hinter den Stäben losbrach.
„Die werden diese Weiber doch nicht zu uns reinpferchen!“, wütete
die nackte Frau in Ketten. Rasselnd stand sie auf. Reflexartig wollte sie
die Fäuste heben, doch ihre Hände kamen nicht weit, sondern gestikulierten
wild auf Hüfthöhe. Die Kette zu ihrem Fußeisen spannte
sich. „Hey, wir sind voll, seht ihr das nicht?“
Es dauerte lange, bis die neuen Sträflinge in den Käfig gelangten.
Die Wärterinnen mussten kräftig schieben. Mühsam schlossen
sie die Tür. Die sechs Frauen wurden mit Tritten und Schlägen
begrüßt. Sie konnten sich nicht wehren. Niemand löste ihre
Ketten. Es sah nicht danach aus, als hätte das noch jemand vor.
Nina vergaß einen Moment zu atmen.
„Das machen sie mit uns auch!“, schrie Heather. „Sie legen uns in Ketten,
lassen uns im Kerker verschimmeln und dann hängen sie uns auf!“
„Tja, kann schon sein“, sagte Nina. „Und alles wegen eines Joints.“
Sie verzog die Mundwinkel. „Okay, ich hab ja auch ein paar Mal dran gezogen.“
Im Käfig begannen die Neuankömmlinge zu kreischen. Ihre Halsketten
schabten an den Stäben, als sie brutal an das Gitter gepresst wurden.
„Cool bleiben, Mädels!“, rief die kleine dicke Wärterin in
den Käfig. „Diese Damen stören euch nicht lange. Fünf, sechs
Monate, dann kriegen die den Strick. Ein paar von euch allerdings auch.
Hauptsache, es ist nicht so eng bei euch!“
Die Wärterin watschelte zu ihrem BH, zog ihn aber nicht an, sondern
steckte ihn nur in den Bund ihres Rocks. Dann machte sie Nina und Heather
los und bugsierte beide in die Zelle. Sie kettete die Mädchen an und
löste die Fesseln. Endlich konnten die Sträflinge wieder die
Arme rühren. Nina empfand die Finsternis als Gnade. Sie hatte in den
Stunden des Hofgangs zu viel erlebt. Viel zu viel. Ihr brennender Rücken
und die glühenden Fußsohlen schmerzten im Schatten umso brutaler.
Es dauerte lang, bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten.
Nina versuchte sich zu orientieren. Gegenüber hing Aurelie an der
Kette. Sie blutete und keuchte. Die langbeinige nackte Diebin stand nun
ebenfalls mit hochgeketteten Händen in der Zelle. Wie zum Hohn baumelte
ihr Bikini-Höschen von der Decke vor ihr Gesicht. Die beiden Bettlerinnen
würden nicht mehr wiederkommen. Da fiel Nina ein, dass sie nur eine
von ihnen am Galgen gesehen hatte. Doch wo war die andere? In der Zelle
jedenfalls nicht. Eigenartig.
Nina wollte gerade in gnädige Apathie versinken, da begann Heather
hemmungslos zu toben. „Lasst mich raus, ihr gemeinen Schweine!“, brüllte
sie. „Ich hasse euch“ Ich will raus hier!“ Sie klammerte sich an die Gittertür,
schlug um sich, die Kette spannte sich. Ninas Beschwichtigungsversuche
blieben ohne Erfolg. „Die hängen uns auf! Ich weiß es! Die bringen
uns um!“ Vergebens packte Nina Heathers Hände. „Wenn ich sie doch
nur fesseln könnte“, dachte sie.
Das erledigten die Wärterinnen. Heather hatte sich fast heiser
geschrieen, da wurden ihre Arme gepackt. Das rechte Handgelenk fesselten
sie mit einem Seil an die Tür von Aurelies Zelle, die linke Hand banden
sie an das Gitter, hinter dem Nina saß. Mit gesenktem Kopf und gespreizten
Armen stand Heather im Gang. Wie von Sinnen drosch die dürre Wärterin
mit einer mehrschwänzigen Peitsche auf die Gefangene ein. Als müsste
sie alle ihre Fehler mit einem Schlag wieder wettmachen, holte sie in weitem
Bogen aus und ließ das Leder auf Heathers nackte Haut knallen. Sie
keuchte lauter als ihr Opfer und verschnaufte kurz, als sie ihr Hemd abstreifte
– sie imitierte ihrer Chefin. Das eigene Gebrüll schien sie anzufeuern.
Die Frau ließ alles heraus.
„Dir zeig ich’s, elende Hippie-Braut“, kreischte die Wärterin,
und ihr Busen hüpfte auf und ab. „Nie mehr wirst du mich arrogant
anlächeln! Du hast wohl geglaubt, du bist was Besseres, nur weil du
schöne Titten hast!“ Zischen und Knallen folgten einander schneller.
Heather wimmerte. Nun bluteten sogar die Rückseiten ihrer Oberschenkel.
„Hippie-Schlampe, ich mach dich fertig! Du Miststück mit deinen Sprüchen,
das hast du nun davon!“ Die Wärterin schwitze. Sie begann zu krächzen.
Astosha und Chlorisse drehten das Gesicht zur Wand, Nina wollte etwas
rufen, doch ihr versagte die Stimme. Heather versagten die Knie. Wie betäubt
sackte sie in ihre Fesseln. „Scheiße!“, dachte Nina, „sieht fast
aus, als würden ihr die Arme ausreißen.“
„Und dein runder Arsch!“ Mit diesen Worten riss die Wärterin Heathers
Rock weg. „Der soll auch bluten!“ Heather versuchte sich zur Seite zu drehen.
Peitschenhiebe streiften ihren Bauch.
„Hockt in der Zelle, dieses Hippie-Miststück, und tut, als wäre
sie im Urlaub! Elende arrogante Kuh! Läuft freiwillig barfuß.
Freiwillig barfuß! Wo gibt’s denn so was? Du wirst nie mehr
Schuhe auch nur sehen!“ Das Kreischen der Wärterin gellte durch den
Kerker und übertönte die Peitsche.
„Schlampe, sitzt grinsend in der Zelle und klimpert mit den Ketten
als wären sie nur Spielzeug!“ Alle Riemen der Peitsche krachten gleichzeitig
auf Heathers Rücken. „Eins ist sicher, Miststück,
du wirst in deinen Ketten vergammeln und nackt sterben! In Ketten sterben!
Nackt und in Ketten sterben!“
Nina zuckte bei jedem Knall zusammen.
Heather nicht mehr.
V.
El Inar, Juli 1968
Im Publikum schrien die Leute erschrocken auf. Applaudierten, klatschten,
pfiffen, johlten. Heather drehte sich um, starrte die Menschenmenge ungläubig
an, schaute dann wieder vor zum Richter, der auf sie einbrüllte. Heather
verstand kein Wort.
Sie bot einen schlimmen Anblick, wie sie da auf Pflaster vor dem Richtertisch
kniete. Die schmutzigen Fußsohlen und die mit einer Kette auf den
zerschundenen Rücken gefesselten Hände waren den Zuschauern
zugewandt, die zu Hunderten den Platz bevölkerten. Ihr nackter Busen
wiederum war dem Blick des Richters ausgeliefert. Von Heathers buntem Rock
waren nach Monaten im Kerker nur Fetzen übrig, die notdürftig
ihre Scham bedeckten und ebenso dreckig waren wie die Haut. Heathers verfilzte
Locken hingen bis zum Boden. Das Volk gaffte gierig, denn Heather war blond
und damit eine Sensation.
Plötzlich fingen einige Mädchen im Publikum an zu weinen.
Flehend suchte Heather Blickkontakt zu Nina, Astosha und Chlorisse, die
gefesselt in einem Käfig am Rande des Gerichtsplatzes hockten. Nina
zuckte nur hilflos mit den Schultern.
„Was hat der Richter gesagt? Was kriegt sie?“
Astosha übersetzte ohne jede Gefühlsregung. „Sie muss auf
die Teufelsinsel.“
„Wohin? Wie lange?“ Nina begann vor Aufregung zu stammeln.
„Du hast nie von der Teufelsinsel gehört?“ Astosha sprach leise.
„Die Teufelsinsel ist die Hölle. Das weiß bei uns jedes Kind.“
„Wie lange?“ Nina schrie fast.
„Für immer“, antwortete Astosha monoton. „Von der Teufelsinsel
ist noch nie jemand zurückgekehrt. Heather wird in Ketten sterben.“
Panisch presste Nina ihr Gesicht auf den Boden des Käfigs.
Die Unruhe im Publikum schwoll bedrohlich. Einige Zuschauer gerieten
in Streit über das Strafmaß. Johlen, Applaus, Zwischenrufe und
entsetzte Schreie schallten über den Platz. Der Richter gab einem
Diener ein Zeichen. Der eilte herbei, riss Heather mit einem Ruck den letzten
Fetzen Stoff vom Leib und zerrte sie hoch. Sie weinte. Heather hatte das
Urteil nicht verstanden, ahnte aber das Schlimmste. Als sie am Käfig
vorbeigeführt wurde, starrte sie die Insassinnen an. Die Begegnung
währte nur Sekunden. Das letzte, was Nina von Heather sah, waren ihre
gefesselten Hände über dem bloßen Po, zu Fäusten geballt.
Verzückt zeigten Zuschauer auf Heathers Scham, als sie durch die Menge
geschleppt wurde. Dann war sie weg.
Den Gefangenen blieb keine Zeit, Heathers Schicksal zu bedauern. Nun
waren sie dran. Der Richter drängte. Offenbar wollte er bald zum Mittagessen.
Nebeneinander mussten sie vor ihm niederknien. Nina blinzelte. Immer noch
machte ihr die Sonne zu schaffen, die sie nur selten sehen durfte. Ihre
Jeans war von Rissen durchlöchert, eng zwang das Seil ihre Hände
auf den Rücken. Die Locken wucherten um ihren nackten Oberkörper.
Sie biss auf die Zähne. Ein Alptraum – nur fürchterlich real.
Grässlich real.
Astosha blickte dem Richter trotzig entgegen, den Kopf erhoben. Immer
noch trug sie Ninas Hemd um die Hüfte. Chlorisse starrte zu Boden.
Die jüngste Angeklagte saß nackt vor Gericht. Einige Zuschauer
schienen das Interesse verloren zu haben und gingen. Die dralle Blonde
war abgeurteilt und wurde schon in der Kettenkammer für den Marsch
zur Teufelsinsel in Eisen gelegt. Zerlumpte einheimische Diebinnen und
eine kleine dunkelhaarige Deutsche versprachen weniger Spektakel. Nackte
Frauen in Ketten konnte das Volk Tabarghas jeden Tag sehen, hatte Astosha
zuvor erzählt. Während männliche Verbrecher sofort in den
Bergwerken verschwanden, wurden weibliche Sträflinge gnadenlos zur
Schau gestellt. Nackt, mindestens mit nacktem Oberkörper und immer
gefesselt. Besonders attraktive Frauen mussten die Straßen säubern.
Vermutlich hatten es deshalb viele bedauert, dass die schöne Heather
auf die Teufelsinsel geschickt wurde, anstatt täglich durch die Stadt
zu schlurfen.
Wieder verfiel der Richter in einen Redeschwall. Plötzlich verstummte
er und ging. Astosha schrie spitz auf und sah Nina entgeistert an.
„Was, was hat er gesagt?“ Nina zitterte.
Astosha übersäte Nina und Chlorisse mit Küssen. Sie
weinte.
„Danke Gott, Nina! Wir haben unglaubliches Glück gehabt!“