Von Hanna S.
Prolog
Der alte Mann grinste beim Anblick ihrer Blöße. Reflexartig
versuchte Selina, ihre nackten Brüste zu bedecken, doch ihre Hände
lagen fest auf dem Rücken, wo sie schon seit dem frühen Morgen
mit schweren Eisenschellen zusammengekettet waren. Gierig leckte sich der
alte Mann die Lippen. Selina presste die Augen zu, senkte den Kopf zu Boden,
drehte sich zur Seite so gut es ging. Aber die Gefangene konnte nicht entkommen.
Hilflos tappte sie weiter, den lüsternen Blicken ausgeliefert. Selinas
Schultergelenke schmerzten, der spröde Metallkragen rieb am Hals,
ihre bloßen Füße brannten nach stundenlangem Marsch auf
der staubigen, einsamen Teerstraße. Die Häuser vor ihnen warfen
in der Abendsonne lange Schatten. Ich bin gar nicht hier, rief Selina in
sich hinein, während im Dorf die Menschen zusammenliefen. Das ist
nicht real, flüsterte sie verzweifelt, als die Kinder lachend um sie
herum sprangen. Schweiß strömte in die Augen. Selina konnte
ihn nicht fortwischen. Die Schellen zwangen ihre Arme mit eisigem Griff
auf den Rücken. Sie war gefesselt. Ganz real.
Ein Ruck riss ihren Kopf zurück. Jemand in der Reihe war gestolpert.
Selina sah sich um. Hinter ihr trotteten fünf Frauen, die Jüngste
15, die Älteste fast 40, alle barfuß, an den Hälsen zusammengekettet,
die Hände auf den Rücken gefesselt. Sie trugen lange weiße
Hosen aus grobem Leinen, ihre Oberkörper waren nackt.
Selina musste den Sträflingszug anführen, weil sie eine Attraktion
war. Eine junge Deutsche mit hellblonden, wild wallenden Rasta-Locken und
verführerischem Körper, gefangen in diesem unbeachteten nordafrikanischen
Land. Selina war nicht nur für die Hinterweltler hier ein sensationeller
Anblick. Im Dorf scharrten sich immer mehr Menschen um die Häftlinge.
Männer feixten und pfiffen, riefen Gemeinheiten, begrapschten die
gefesselte Blondine mit dem großen nackten Busen gierig. Kinder sprangen
an ihr hoch. Selina krümmte sich, schluchzte, dreht sich weg, begann
zu taumeln. Hilflos stürzte sie auf die Straße. Zwei Frauen,
die ihr an der Kette folgten, riss sie mit. Die Menge johlte. Beklatschte
die angestrengten Versuche der Gefesselten, wieder auf die Beine zu kommen.
Niemand half. Selina fing halblaut an zu wimmern. Schweiß brannte,
die Sonne stach. Durst quälte. Die Leute befingerten ihre Brüste
immer hemmungsloser. In Selinas Augen standen Tränen. „Du bist gar
nicht hier“, rief sie verzweifelt in sich hinein. An nichts denken. Alles
vergessen. Das Metall am Hals und den Handgelenken drückte, die Füße
brannten. Das Mädchen fröstelte trotz der Hitze.
Mit verschwommenem Blick musterte Selina ihre fünf Mitsträflinge.
Lizzi lächelte zurück, aber die Leere in ihren Augen verriet,
dass sie schon viele Jahre in Ketten verbracht, viele Dörfer gefesselt
durchquert, viele Demütigungen erlitten hatte. Und sie wusste, was
die Frauen am Ziel erwartete: die Teufelsinsel.
I.
Niemals wieder Schuhe tragen müssen!
Selina Hardenberg lehnte an der Reling und strahlte der Küste
Afrikas entgegen. Ihr neues Leben schien zum Greifen nahe. Nur noch ein
kleiner Zwischenstopp hier in Tabargha, dann würde das Schiff in Jafarah
anlegen. Ihre neue Heimat, die sagenumwobenen Hippie-Kolonie.
Das heiße Pflaster des Hafens brannte aufregend unter Selinas
nackten Füßen. Eine zerschlissene Jeans mit weitem Schlag schlabberte
um ihre langen Beine. Die rote Bluse trug sie hoch geknotet, um ihren schlanken
Bauch bis knapp unter die üppigen Brüste zu entblößen.
Ein buntes Tuch flatterte in der langen blonden Rasta-Mähne der jungen
Deutschen. Selina war 18 und wusste ihren grandiosen Körper
aufreizend in Szene zu setzen. Doch ihre Freizügigkeit galt nicht
nur ihrer Umwelt. Sie lief mit nackten Füßen, weil sie das Gefühl
liebte. Die Schülerin war ein überzeugtes Hippie-Mädchen.
Nichts konnte da natürlicher sein als ständiges Barfußlaufen.
Daheim in Bremen lief Selina zum Entsetzen ihrer Eltern von April bis September
grundsätzlich barfuß. Morgens in die Schule, nachmittags durch
die Stadt, abends in Kneipen, im Kino, überall. Bei jedem Wetter.
Sie es liebte es ihre Welt auf nackten Füßen zu erleben, daher
war ihr Kritik völlig egal. Dumme Kommentare und schräge Blicke
nahm Selina mit überlegenem Lächeln hin.
Das Mädchen kämpfte gegen die Starre und die Regeln ihres
Elternhauses, des Gymnasiums, vor all der Enge, die in Deutschland herrschte.
Deshalb floh sie in die Welt der Blumenkinder. Ihr Bedürfnis nach
Freiheit brannte. Selina lebte den Kult der Hippies so kompromisslos, dass
die Kluft zu ihrer Heimatstadt immer größer wurde. Schon mit
13 wucherte auf ihrem Kopf eine wilde Rasta-Mähne. Sie trug nur zerschlissene
Schlaghosen, bunte Blusen und wallende Röcke. Am Gymnasium galt sie
als beliebter Paradiesvogel. Mitschüler bewunderten Selina um ihr
Selbstbewusstsein, anders die Lehrer. Als wegen ständiger Barfüßigkeit
ein Schulverweis drohte, packte sie entnervt den Rucksack, warf vor den
Augen der Familie demonstrativ ihr ohnehin letztes Paar Schuhe in den Müll
und ging. Selina war 18, als sie ihr neues Leben begann. Per Anhalter gelangte
sie nach Malaga. Dort bestieg sie ein Küstenschiff Richtung Jafarah.
Alle Spießer hinter sich lassen. Einfach weg. Ein Traum.
Im Hafen von Tabargha wuselte das Leben. Das kleine Sultanat lag unbeachtet
irgendwo südlich von Tunesien. Selina hatte von diesem Land nie etwas
gehört. Aber die Vitalität faszinierte sie. Den kurzen Tankstopp
ihres Schiffes nutzte das Mädchen für eine kleine Exkursion an
Land. Den Rucksack ließ sie an Bord zurück. Als sie den warmen
Boden Afrikas unter ihren bloßen Füßen spürte, weinte
sie fast vor Glück. Euphorisch ließ sie sich vom Trubel im Hafen
mitreißen, durch die engen Gassen gleiten, sog die exotischen Gerüche
auf. Sie war am fast Ziel.
Als Selina zurückkehrte, hatte ihr Schiff schon abgelegt.
Niemand konnte oder wollte Selina helfen. Der Polizist blickte gleichgültig
drein. Ein anderes Schiff nach Jafarah? Die würden hier normalerweise
gar nicht anlegen. Konsulate gab es in Tabargha nicht. Dann wollte er Selinas
Ausweis sehen. Der befand sich samt Rucksack auf dem Weg nach Jafarah.
Panisch ergriff sie die Flucht. Rannte, bis sie die Trillerpfeifen der
Polizisten nicht mehr hörte.
An eine schmutzige Mauer gelehnt weinte sie vor Wut. Alles weg. Ein
Alptraum. Geblieben waren ihr nur Jeans und Bluse, ein paar spanische Münzen
und eine halbe Packung Camel. Noch nie hatte sich die junge Frau mit bloßen
Füßen so nackt und ausgesetzt gefühlt. Selina hatte sich
überhaupt noch nie nackt gefühlt.
Mit Tränen in den Augen betrachtete Selina die ärmlichen
Gebäude. Verzweifelt barg sie den Kopf in den Händen.
Plötzlich stand das junge Lumpenmädchen mit der schwarzen
Lockenmähne vor ihr. Sie trug ein zerfetztes, ehemals weißes
Herrenhemd, das kaum das Nötigste bedeckte. „Hi! Ich bin Lizzi“, sagte
sie auf Französisch, der Sprache der früheren Kolonialherren.
Nur diese barfüßige Bettlerin wollte der Gestrandeten helfen.
Lizzi war ebenso groß wie Selina, aber noch üppiger gebaut.
Die Brüste fast zu dick, der Po fast zu rund, das Gesicht wunderschön.
Lizzi war 24, ägyptischer Abstammung und notorische Straßendiebin.
Nicht die ideale Begleitung in einem fremden Land, aber sie verstand es,
für Selina zu sorgen. Tag für Tag übte das deutsche Hippie-Mädchen
unter Lizzis Anleitung die Kunst des Stehlens. Doch die Chance, das Land
zu verlassen, blieb außer Sicht.
„Komm, Kleine“, sagte Lizzi mit hintersinnigem Lächeln, „wie müssen
jetzt dieses scheiß Leben überleben, wie es kommt.“
Es erwies sich als gut, dass Selina während der vergangenen sechs
Sommer immer barfuß unterwegs gewesen war, denn hier brauchte sie
dicke Hornhaut an den Sohlen. Lumpenmädchen wie sie lebten selbstverständlich
auf nackten Füßen. Sie mussten schnell weglaufen können,
wenn sie etwas gestohlen hatten. Dieses Wagnis nahm sie jetzt mehrmals
täglich auf sich. Ein paar Äpfel hier, drei Tomaten dort. Ab
und an der Griff in einen Einkaufskorb. Und dann rennen, rennen, rennen.
Kilometer durch die endlosen dreckigen Gassen. Hungrig die Beute verschlingen.
Immer auf der Flucht. Ohne Hoffnung, dem Elend zu entkommen. Halbnackt
und schmutzig hausten sie in Kellern und Ruinen. Selina, die immer von
weißen Stränden geträumt hatte, litt Höllenqualen.
Ihre Lage war erbärmlich.
Als eines Tages eine Diebestour kaum Beute brachte, bestand Lizzi in
der Not darauf, Selinas Jeans zu verkaufen. Das Geld für die zerschlissene
Schlaghose reichte für eine Woche. Selina nahm ihre neue Nacktheit
gleichgültig hin. Das Überleben in Armut war zu anstrengend für
viele Gedanken und das Wesentliche schlimm genug: Kaum fünf Wochen
nach ihrer Abreise aus Bremen musste sie sich durch eine vergessene Region
Nordafrikas schlagen, bekleidet nur mit einer roten Bluse, die kaum zu
den Schenkeln reichte, eine obdachlose Diebin, die hart darum ringen musste,
abends etwas zu essen zu haben. Wenigstens war sie es gewohnt, barfuß
zu laufen.
Dann, als es nichts zu stehlen gab, fingen sie an, ihre Körper
zu verkaufen. Lizzi hatte das oft getan, wenn der Hunger zu stark war.
Ihre Lumpen um die Hüfte gewickelt streiften sie barbusig durch die
düsteren Gassen und sprachen Seeleute an. Selina kannte bald keine
Scham mehr, reckte Fremden mit teilnahmslosem Lachen ihre nackten Brüste
entgegen, gab sich abgestumpft den Männern hin, mehrmals pro Nacht.
Bald begannen sie, die Freier zu berauben. Bescheiden besserte das ihre
Lage. Just an dem Tag, da sich die Frauen echte Kleidung kaufen wollen,
ging die Sache schief. Ein algerischer Matrose schlug Alarm. Lizzi und
Selina warfen die Lumpen über und rannten um ihr Leben. Das Unheil
nahm seinen Lauf.
II.
Fünf Monate nach ihrer Ankunft in Tabargha war es ein simples Hanfseil,
das Selina zum ersten Mal in ihrem Leben spüren ließ, wie es
ist, gefesselt zu sein. Die Flucht vor der Polizei hatte sie weit aufs
Land geführt. Tagelang vegetierten sie in der Wildnis fast wie Tiere.
Ihre Lumpen fielen bei der mühsamen Suche nach Früchten endgültig
in Fetzen. Selina vermochte es gerade noch, mit den Resten der Bluse ihre
Scham zu bedecken. Lizzi war alles egal. „Scheiß Leben!“, schrie
sie, als sie das wegwarf, was einst ein Hemd gewesen war. Die Ägypterin
hockte völlig nackt im Unterholz. Selinas Lendenschurz blieb ihr einziger
Besitz. Bis sich Selina aus Solidarität auch von diesem bescheidenen
Stück Zivilisation trennte. Tiefer konnten sie nicht mehr fallen.
„Sieh, was aus uns geworden ist“, sagte Selina, als sie auf allen Vieren
mit baumelnden Brüsten und knurrendem Magen durchs Gebüsch krochen,
verzweifelt nach Beeren suchend. „Zwei nackte Nutten, die im Dreck wühlen.“
Fast mussten sie grinsen.
Es war ein entsetzendes Gefühl, keinerlei Kleidung zu besitzen.
Selina hatte es in ihrem freien Leben geliebt, so nackt wie möglich
zu sein. Beim Baden, im Park oder auf Festivals zog sie immer ihr Oberteil
aus. In warmen Sommernächten lief Selina stundenlang barfuß
und mit nacktem Oberkörper durch die ausgedehnten Grünanlagen
hinter ihrem Elternhaus. Nur mit einer weiten Batik-Hose oder einer Jeans
bekleidet. Ein Hemd nahm sie auf den Spaziergängen gar nicht erst
mit. Bei einer Freundin, einer Aussteigerin, die auf dem Land lebte, verbrachte
Selina in den Ferien ganze Wochen völlig nackt und genoss die Hippie-Freiheit
euphorisch. Doch das Mädchen wollte über Blöße selbst
entscheiden, in einer Notsituation nackt sein zu müssen, verkehrte
alle Lust, alle Erotik direkt ins Gegenteil. Noch nie hatte sich Selina
so ausgeliefert gefühlt.
Nach fünf Wochen trieb sie der Hunger dazu, in einen Bauernhof
einzubrechen. Doch die Not ließ beide unvorsichtig werden. Die Bewohner
ertappten sie rasch. Selina und Lizzi wurden mit groben Hanfstricken
gefesselt, Rücken an Rücken zusammengebunden und in einen schmutzigen
Stall gesperrt.
„Tja, meine Liebe“, sagte Lizzi irgendwann, „da wären wir dann
angekommen.“
„Ich halte das nicht aus!“ Der Schmerz an Hand- und Fußgelenken
quälte Selina, besonders die Schultern taten weh, denn die Bauern
hatten ihnen die Hände auf dem Rücken verschnürt. Eine völlig
neue, schreckliche Erfahrung.
„Du wirst dich daran gewöhnen, gefesselt zu sein. Irgendwann kennst
du es gar nicht mehr anders.“ Lizzis wissender Ton war erschreckend.
Am schlimmsten empfand Selina das Gefühl, Arme und Beine nicht
bewegen zu können. Ausgerechnet sie, die quirlige lebensfrohe Träumerin,
lag in Fesseln. „Das also ist meine neue Freiheit“, dachte das Hippie-Mädchen
bitter.
Zwei Tage bekamen sie nur Wasser. Dann durften sie alte Brotstücke
aus einer trüben Brühe schlürfen. Der Bauer grinste beim
Füttern. Nach fünf Tagen kamen Polizisten, vertauschten die Stricke
mit Ketten und zerrten die Diebinnen in das Gerichtsgefängnis der
nächsten Stadt.
Lizzi nahm die Prozedur der Verhaftung gleichgültig hin. Sie hatte
diese Demütigung zu oft erlebt. Für Selina war es ein Schock.
Als die junge Deutsche offiziell zum Sträfling erklärt wurde,
zitterte sie am ganzen Leib. Nackt und gefesselt kniete sie vor dem Richter,
hörte mit gesenktem Kopf die Beschuldigungen an. Anschließend
warf ihr eine Wärterin die Häftlingskluft hin. Die weiße
Leinenhose war zu kurz für Selinas langen Beine. Das Kleidungsstück
endete einige Zentimeter über den eisernen Schellen an ihren schlanken
Füßen.
„Bekommen wir nur diese Hose anzuziehen?“, fragte Selina leise.
„Ja, Süße. Nur diese Hose“, sagte die Wärterin grinsend.
„Füße und Oberkörper bleiben nackt. Das tragen Häftlinge
so bei uns. Naja, hast ja ordentliche Titten!“
Mit diesen Worten griff die Frau gierig zu. Selina konnte sich nicht
wehren, denn ihre Hände lagen längst wieder in Ketten auf dem
Rücken.
Sie wurde mit Lizzi in eine Zelle gesperrt. Ein leeres, dunkles Verlies,
kaum vier Quadratmeter groß. Nirgendwo linderte etwas Stroh das Leiden
der Insassen. Auf dem kalten Steinboden dämmerten bereits zwei junge,
höchstens 15-jährige Mädchen vor sich hin. Eine der beiden
musste eine Todeskandidatin sein, denn sie trug keine Leinenhose. Das arme
Geschöpf war völlig nackt. Metallschellen fesselten ihre Arme
auf den Rücken, ihre Füße waren ebenfalls eng zusammengekettet.
Um ihren Hals hing schon der Galgenstrick. Das andere Mädchen hielt
seine leise wimmernde Freundin im Arm. Selina schauderte bei diesem Anblick.
Viele Stunden später kam eine Wärterin und fesselte den Neuankömmlingen
die Handschellen vor den Bauch. Die Fußeisen schloss sie mit einer
kurzen Kette an die Kerkerwand. Selina weinte, als die Gittertür ins
Schloss fiel.
III.
Ketten rasselten Tag und Nacht. Die Gefangenen verloren in der dunklen
Zelle bald jedes Zeitgefühl. Nur Morgens bekamen sie etwas Brot und
Wasser. Sonst nichts. Panik kroch in Selina hoch. Die Dunkelheit, die Enge,
die Ungewissheit, das beschämende Gefühl, mit nacktem Oberkörper
leben zu müssen, die dicken, drückenden Ketten, die Demütigungen,
die Schläge.
Nach einer Woche wurde den Frauen gestattet, einige Runden auf dem
Hof zu drehen. Das Mädchen mit dem Galgenstrick blieb an die Wand
geschmiedet. Die Häftlinge durften die Zelle prinzipiell nur mit auf
den Rücken gefesselten Händen verlassen. Bei je vier Insassinnen
verbanden die Wärterinnen die Fußkette mit einer dicken Verbindungskette.
So schlurften sie drei Stunden lang klirrend hintereinander im Kreis. Einmal
pro Woche. Es war demütigend, aber nach Tagen völliger Regungslosigkeit
eine Erleichterung. Endlich Tageslicht!
Zwei Mal wurden sie verhört. Der Offizier musste seine Lederpeitsche
nur kurz schwingen, denn Selina und Lizzi gestanden ihre Verbrechen sehr
schnell. So ersparten sie sich wenigstens die Qual eines ein öffentlichen
Prozesses.
Die Kleine mit dem Galgenstrick weinte und weinte. Niemand löste
ihre Fesseln. Ihre Freundin fütterte sie, führte ihr die Wasserschale
zum Mund, tröstete sie.
„Wie lange liegt die Kleine hier schon so?“, fragte Lizzi eines Tages.
„Ich weiß leider nicht, welcher Tag ist“, antwortete die Gefährtin.
„Als sie uns hier eingesperrt haben, war Anfang April“. Ihre Häftlingshose
starrte schon vor Dreck, ebenso ihr nackter Oberkörper. Sie
hieß Cori und war sehr tapfer.
„O weh“, meinte Lizzi staunend. „Das war vor gut drei Monaten. Jemand
so lang auf den Galgen warten zu lassen, ist echt gemein.“
Cori war kaum 15. Zierlich, unglaublich hübsch und spektakulär
langbeinig. Aus reichem Hause. Man hatte sie und ihre gleichaltrige Freundin
Tatjana mit Hasch erwischt. Die Mädchen mussten das Leben jenseits
des Luxus mühevoll lernen. Im Kerker erfuhr sie zum ersten Mal wie
es sich anfühlt, barfuß zu laufen. Eine wichtige Erfahrung,
denn Cori würde niemals wieder Schuhe tragen. Die Strafe lautete lebenslänglich.
„Eine Klassenkameradin hat uns verpfiffen“, erzählte Cori eines
Abends. „Ich kam gerade aus der Schule, als die Polizei in unser Haus stürmte.
Deine Schuhe kannst du gleich daheim lassen, haben die Bullen gesagt. Die
würde ich ab jetzt nicht mehr brauchen. So war es dann auch. Vor der
versammelten Dienerschaft haben sie mir die Hand- und Fußschellen
angelegt. Mein Vater hat mich brüllend beschimpft, verleugnet, enterbt
und was weiß ich noch alles.“
Cori stockte, wischte sich mit ihren gefesselten Händen Tränen
aus den Augen.
„Tatjana haben sie mitten im Klassenzimmer verhaftet. Auch mit Ketten
überall. Auf den Rücken und so. Muss schlimm gewesen sein. Alle
haben gefeixt.“
Vor Gericht, erzählt sie, war kein Familienmitglied anwesend gewesen.
Dafür um so mehr schadenfroh grinsende Mitschülerinnen. Nur einmal
war ihre Mutter kurz ins Gefängnis gekommen, hatte aber unverzüglich
kehrt gemacht, als Cori vor ihr in den Käfig des Besuchsraums gesperrt
wurde. Sie ertrug den Anblick nicht. Mit nacktem Busen und zusammengeketteten
bloßen Füßen schlurfte die Kleine mühsam auf das
Gitter zu, die Hände auf den Rücken gefesselt – wie es Sitte
war im Staate Tabargha.
Die Angehörigen von Coris Freundin Tatjana zeigten mehr Familiensinn.
Weil die Polizei bei ihrer Tochter die größere Menge Haschisch
gefunden hatte, mussten sie kämpfen. Doch alle Gnadengesuche verlängerten
Tatjanas Leiden unnötig.
Drei fürchterliche Monate lag sie schon an der Kerkerwand angeschmiedet.
Cori musste ihr jeden Tag die Brotstücke in den Mund stecken, denn
die Wärterinnen hielten die Hände der 15-Jährigen pausenlos
hinter ihrem zarten Körper zusammengekettet. Tatjana sprach kaum.
Halb besinnungslos ertrug sie die Qualen.
Lizzi und Selina lagen zwei Monate in diesem Loch, als die Wärterinnen
erstmals Tatjanas Ketten lösten, damit sie ihre Geschwister
und Eltern, die weinend im Gang standen, durch die Gittertür der Zelle
umarmen konnte. Nach vier Minuten fesselten die Wärterinnen Tatjanas
Hände in quälend langsamer Sorgfalt mit einem Seil auf den Rücken
und führten sie an der Familie vorbei zum Galgen.
Das Entsetzen lähmte die Gefangenen tagelang. Jetzt weinte Cori
unablässig. Sie war fast noch ein Kind. Um so länger würde
ihre Haft dauern. Ohne Gnade standen ihr viele Jahrzehnte in Ketten bevor.
Und auf der Teufelsinsel gab es keine Gnade. Selina überlegte, wen
es härter getroffen hatte: die elend gehenkte Tatjana oder die bald
für immer eingekerkerte Cori.
Fast so grausam wie die Ketten war die Untätigkeit. Lizzi sprach
Selina und Cori gut zu. Viel helfen konnte sie nicht, denn Lizzi hatte
ihre Fähigkeit, ein Verlies mit Gleichmut zu ertragen, lange üben
müssen. Das Gefängnis war die eigentliche Heimat der Straßendiebin.
Lizzi wusste viel über Kerker und Ketten erzählen.
„Ich bin auf der Teufelsinsel geboren worden“, sagte sie eines Abends.
Selina riss die Augen auf.
„Ja. Meine Mutter war eine Diebin. Als sie mit der Geldbörse erwischt
wurde, war sie schon schwanger. Bei meiner Geburt lag sie an der Wand -
angeschmiedet.“
„Und du bist auf der Teufelsinsel aufgewachsen?“ Selinas Mund stand
offen.
„Klar. Bis ich zwölf war. Ich war wenigstens nicht das einzige
Kind da. Es hat eine Weile gedauert, bis wir kapiert haben, warum unsere
Mütter nicht mit uns im Hof spielen konnten.“
„Sie..., sie...“, Selina suchte nach Worten.
„Ja. Wenn sie nicht auf dem Feld schufteten, saßen sie angekettet
in der Zelle. Wir Kleinen tollten um sie herum.“ Lizzis sachlicher Ton
klang schaurig.
„Mit zwölf haben sie mich am Festland ausgesetzt. Nackt wie ich
war. Einfach so. Ohne irgendwas. Vorher aber musste ich noch zuschauen,
wie die Schweine meine Mutter aufgehängt haben“.
Selina verschluckte sich vor Schreck.
„Tja“, fuhr Lizzi fort, „angeblich soll sie eine Wärterin gebissen
haben. Es dauerte fürchterlich lange. Dann war ihr Leiden vorbei.“
Die junge Ägypterin weinte nicht, als sie erzählte. Nicht
mehr. Eine Weile spielte Lizzi gedankenverloren mit der Kette an ihren
Füßen. Dann sprach sie weiter.
„Draußen habe ich gar keine Chance gehabt. Ich musste stehlen.
Zuerst klaute ein Hemd von einer Leine.“ Lizzi strahlte. „Das war
mein erstes Kleidungsstück! Ausgerechnet, als ich Schuhe klauen wollte,
haben mich die Bullen geschnappt. Die haben mich leider immer wieder erwischt.
So habe ich zumindest alle möglichen Kerker kennengelernt. Schade.
Schuhe hätte ich gerne mal ausprobiert.“
„Wie lange warst du eingesperrt“, wollte Selina wissen.
„Alles in allem acht Jahre“, antwortete Lizzi trocken.
„Zusammen mit der Teufelsinsel warst du also über 20 Jahre im
Gefängnis“, meinte Selina.
„Ja. Ich bin jetzt 24 und saß 20 Jahre im Knast. Was für
ein scheiß Leben.“
Dann berichtete Lizzi von ihrer Sträflingszeit. Jedes der vier
Gefängnisse, in denen sie schon geschmachtet hatte, war anders. In
einem wurde die Frauen an den Füßen angekettet, in einem anderen
an den Händen. In ihrem dritten Verlies waren die Frauen mit Halsschellen
an die Wand geschmiedet.
„Dicke Fußeisen haben wir natürlich überall gekriegt.
Und zum Hofgang durften wir nur mit Handschellen auf dem Rücken. Mit
Arbeit war nirgendwo was. Bis auf den wöchentlichen Spaziergang sind
wir dauernd im Loch gehockt und haben gelangweilt mit unseren Ketten gerasselt.“
„Wie hast du das ausgehalten?“ Selina zitterte zusehends.
„Es hilft ja nichts. Das beste ist, die Ketten einfach als einen Teil
deines Körpers zu begreifen. Dann wird es etwas erträglicher.
Na ja.“
„Und immer mit nacktem Oberkörper?“
„Nein“, versetzte Lizzi, „ganz nackig. Hosen kriegen nur Untersuchungshäftlinge.
Wirklich scheiße aber war das eine Jahr, wo ich mit drei Schlampen
in einem engen Käfig hocken musste.“
„Im Käfig? Ein Jahr?“ Selina senkte den Blick.
„Leider ja. Gefesselt haben sie uns erst, als wir davor standen, uns
zu erwürgen. Danach haben wir uns gegenseitig gebissen. Kein schönes
Jahr.“
„Wie werden sie uns auf der Teufelsinsel fesseln?“
Lizzi schwieg eine Weile. Dann sagte sie leise: „Auf der Insel gibt
es mehr Ketten als Gitterstäbe. Es ist die Hölle.“
Bei sich dachte die Ägypterin zurück an das ständige
Gerassel, an die teilweise Unfähigkeit ihrer Mutter, ihr Kind zu liebkosen.
Lizzi waren Ketten so vertraut wie anderen Leuten Schuhe. Jetzt sollte
auch sie auf der Teufelsinsel sterben.
Drei Monate nach ihrer Verhaftung wurden Selina und Lizzi aus der Zelle
geholt, bekamen die Hände diesmal mit besonders schweren Schellen
auf den Rücken gefesselt, wurden von den Fußeisen befreit und
mit vier anderen Frauen an den Hälsen zusammengekettet. Im Gefängnishof
kniend vernahmen sie ihre Urteile. Lebenslänglicher Kerker. Zu verbüßen
auf der Teufelsinsel. Keine Hoffnung auf Begnadigung. Abmarsch sofort.
Selina würgte, presste die Stirn auf den Boden, alles um sie herum
begann sich zu drehen. Ihr Magen verkrampfte sich. Zittern schüttelte
ihren Körper so sehr, dass die Kette am Hals rasselte. Es war brutal.
So unglaublich. Es konnte nicht real sein. Bilder schossen ihr durch den
Kopf: Halbnackte Hippies tanzten über den Strand. Das war erst recht
nicht real.
„Jedenfalls nicht für mich“, fauchte sich Selina in Gedanken an.
„Wärst du doch im spießigen Bremen geblieben, du naive Hippie-Göre!.“
Weinend biss sie auf die Zähne. „Für immer barfuß laufen
wolltest du. Das kannst du jetzt, dummes Stück! Nie mehr wirst du
irgendwo tanzen, es sei denn, es stört dich nicht, dass dabei zehn
Kilo Eisen an deinen Füßen hängen.“
Selina schluchzte. Und wieder erinnerte sie der feste Griff des Metalls
an den Gelenken daran, dass sie in einem fremden Land in Ketten sterben
würde.
Aber vorher musste sie erst das Leben ertragen. Die langen, eintönigen
Jahre in schwerem Eisen, von denen Lizzi berichtet hatte. Die drangvolle
Enge im Kerker, die Schläge, die Verzweiflung. Selina zwang sich,
nicht in Panik auszubrechen.
„Das Urteil war doch klar“, sagte Lizzi monoton. „Das habe ich gleich
gesagt.“
Selina wusste, dass auch ihre Gefährtin dem Schicksal nicht so
lässig entgegen blickte wie sie vorgab. Lizzi wollte trösten.
„Denk an die kleine Tatjana“, meinte sie trocken, „möchte nicht
wissen, wie sehr der süße Galgenvogel am Strick gezappelt hat.“
Dass dieses Schicksal der Teufelsinsel vorzuziehen ist, dachte Lizzi
nur. Sie lächelte: „Selina, sieh es positiv: Jetzt werden wir eben
gemeinsam alt.“
Lizzi trug als einzige keine Häftlingshose. Nach einer Rangelei
mit einer Wärterin musste sie den Weg auf die Teufelsinsel zur Strafe
völlig nackt antreten. Ganz egal, hatte sie vor dem Abmarsch gesagt.
„Auf der Insel ziehen sie uns die Hose sowieso aus. Die brauchen wir da
nicht.“ Lizzi war es gewohnt, nackt zu sein. Mit zynischem Lächeln
fügte sie hinzu: „Dafür bekommen wir schwere Fußeisen.
Also genieße jetzt besser noch jeden Schritt, den du ohne Schlurfen
tun kannst.“ Lizzi sprach aus Erfahrung, denn sie hatte in all den Kerkern
schon viele Kilometer zurückgelegt - erbärmlich schlurfend.
Ein lauter Peitschenknall unterbrach sie. Es ging los. Unwiderruflich.
Fünf lange Tagesmärsche standen den Frauen bevor. Fünf Tage
mit nacktem Oberkörper und bloßen Füßen durch das
Land trotten, die Hände auf den Rücken gefesselt, zusammengekettet
wie Tiere. Fünf Tage lang dem Volk erniedrigt zur Schau gestellt.
Fünf Tage Hitze, Hiebe und Staub.
IV.
Energisch trieben die Wärter die Frauen durch das Dorf. Fast die
gesamte Einwohnerschaft war inzwischen versammelt, um das außergewöhnliche
Spektakel zu erleben. Auf dem Dorfplatz durften die Sträflinge niederknien.
Kettenrasselnd sanken die Frauen in den Staub. Ein Mann in Pluderhose schleppte
einen Eimer Wasser heran uns stellte ihn vor Selina ab. Ihr Durst war stärker
als alle Scham. Ohne zu zögern schlürfte die Gefangene aus dem
Gefäß. Wie ein Tier. Selina war jung, aber sie hatte den Ernst
der Lage begriffen. Nach wenigen Schlucken war Lizzi an der Reihe. Gierig
sog sie das Wasser ein, in geübter Bewegung tauchte sie den Kopf fast
in den Eimer, die gefesselten Hände weit nach hinten gestreckt. Ihre
riesigen Brüste wippten rhythmisch.
Dann durfte Cori trinken. Sie nahm kleine Schlucke, zitterte vor Scham.
Hinter ihr war Lara angekettet. Die dralle 38-Jährige aus Tabargha
hatte ungezählte Jahre in Gefängnissen hinter sich. Sicher die
Hälfte ihres Lebens, meinte sie, vermutlich länger. Genau wisse
sie es nicht mehr, irgendwann habe sie jedes Zeitgefühl verloren.
Graue Strähnen durchzogen ihr langes Haar. Lara hatte sich als Kind
als Taschendiebin, später mit Einbrüchen und Hurendiensten durchgeschlagen.
Am Ende war sie beim Drogenschmuggel erwischt worden. Einige Gramm mehr,
und man hätte sie ebenso grausam gehenkt wie ihre Komplizinnen. Lara
trug die Fesseln mit Fassung. Sie wusste, einmal hatte es eben passieren
müssen.
An fünfter Stelle hing Dina an der Kette. Die 24-jährige
kam aus dem Senegal, lebte aber schon seit ihrer Kindheit als Haussklavin
in Tabargha. Ihre schwarze Haut stand mit der weißen Häftlingshose
in strahlendem Kontrast. Es war das erste Kleidungsstück, das sie
seit über zehn Jahren trug, denn als ihr Busen zu wachsen begann,
hatte sie ihr Herr gezwungen, immer nackt zu arbeiten. Wer Dina sah, verstand
warum. Ihre Beine waren mindestens ebenso unverschämt lang wie die
Selinas, ihre Taille fast so schlank wie die der zierlichen Cori. Diese
Zartheit stand in umgekehrtem Verhältnis zu ihren Brüsten.
Dina war wegen Ungehorsams verurteilt worden. Als einzige Sklavin in
der Villa des reichen Geschäftsmanns musste sie nicht nur dessen Launen,
sondern auch die Quälereien der Bediensteten ertragen. Abends, bevor
sie vor dem Haus mit Fußschellen an die Wand gekettet wurde, fesselte
ihr einer der Köche die Hände mit einem Seidenschal auf den Rücken.
Unter dem Gelächter der Dienstmädchen musste Dina die einzige
Mahlzeit des Tages zu sich nehmen. Das erklärt, warum die junge Frau
eines Tages ungehorsam wurde. Es erklärt auch, weshalb Dina gekonnt,
ohne zu Schlürfen aus dem Eimer trank, als habe sie noch nie Hände
dazu gebraucht.
Die letzte an der Kette hieß Ophelia. Die dunkelhaarige 34-Jährige
konnte nicht behaupten, unschuldig zu sein. Sie tat es auch nicht. Ophelia
hatte ihre kriminelle Karriere früh begonnen und zielstrebig verfolgt.
Sie liebte des Verbrechen. Schon mit 14 wurde die Tochter aus reichem Hause
– Nachfahren der französischen Kolonialherren - wegen Diebstahls für
vier Jahre ins Gefängnis gesteckt. Es schien sie wenig zu bekümmern.
Fröhlich kehrte sie heim. Nur das ständige Barfußlaufen
habe sie gestört, versicherte sie unbekümmert. Mit 20 stand Ophelia
erneut vor Gericht, wo sie stolz eine stattliche Reihe von Delikten aufzählte.
Einzig der Intervention ihrer ebenso einflussreichen wie verzweifelten
Eltern war es zu danken, dass Ophelia nur für zehn Jahre in Ketten
gelegt wurde. Während des Prozesses war Don Passos, einer der berüchtigtsten
Gangsterbosse des Landes, auf sie aufmerksam geworden. Ihre kokettes Auftreten
beeindruckte den Paten. Es schien, als genieße sie es, sich trotz
Fesseln und nacktem Oberkörper vor den Richtern zu profilieren. Oder
gerade deshalb. Der Don ließ ihr im Verlies Essen zukommen. Er wartete
auf sie. Als Ophelia aus dem Kerker wankte, weil sie es nicht mehr gewohnt
war, ohne Eisen an den Füßen zu laufen, stand Don Passos mit
Blumen vor dem Tor. Kurz darauf heirateten sie.
Für die nun 30-Jährige begann ein prachtvolles Leben in immensem
Luxus – finanziert vom Syndikat ihres Mannes. Kein Fest, kein Bankett,
keine Parade fand ohne die viel beachtete Frau mit dem verführerischen
Körper statt. Die Königin der Unterwelt thronte an der Spitze
der Gesellschaft. Und der langjährige Sträfling verstand es hervorragend,
glanzvoll Hof zu halten.
Nach vier Jahren kam der Sturz. Zwei Bandenmitglieder hatten gegen
das Paar ausgesagt. Die Beweise reichten. Don Passos konnte sich noch absetzten.
Für Ophelia gab es keine Flucht. Als die Polizisten kamen, schwamm
sie im Pool ihrer Villa. Die Gangsterbraut realisierte sofort, was die
Stunde geschlagen hatte. Sie war nicht naiv, wusste immer, dass sie gut
gelebt und hoch gepokert hatte. Das Spiel war aus, und Ophelia spielte
bis zum bitteren Ende mit. Langsam stieg sie aus dem Becken, lächelnd,
nackt. Sie kannte, was nun kam. Daher blieb sie gleich barbusig und suchte
auch nicht nach Schuhen. Kleidung, das war einmal. Gelassen wickelte sie
sich nur ein schmales Seidentuch um die Hüfte. Strahlend drehte
sie den Polizisten den Rücken zu und streckte ihnen die Hände
entgegen. „Ich bin soweit“, lauteten Ophelias letzten Worte in Freiheit.
Der Prozess gegen die Frau des Paten geriet zum Spektakel des Jahres.
Es war Ophelias letzter großer Auftritt, und sie blieb dem Volk nichts
schuldig. Trotz monatelanger Haft in engem Eisen war sie wunderschön
wie immer, sie schlurfte nicht in ihrer Fußkette vor Gericht, sie
schritt. Elegant wie eine Dame im Abendkleid, nicht wie eine Gefangene
mit Handschellen und nacktem Oberkörper, die barfuß in einer
dreckigen Leinenhose steckte. Aufrecht kniete sie vor den Richtern, den
Kopf erhoben, lächelnd. Bei jeder Gelegenheit reckte Ophelia ihren
riesigen Busen ins Publikum. Kurz vor der Urteilsverkündung stand
sie plötzlich auf, drehte sich dem Volk zu und ließ mit frechem
Lachen Schultern und Hüften kreisen, bis die Brüste hüpften.
Die Menge johlte. Wären ihre Arme nicht auf den Rücken gefesselt
gewesen, sie hätte wohl noch gewunken. Diese Tanzeinlage vor Gericht
brachte ihr 50 Peitschenhiebe zusätzlich, doch das war ihr die Show
wert. Ophelia gab ihre Abschlussgala mit Bravour, innerlich aber fröstelte
sie. Bei öffentlichen Anlässen galt ihrem verwegenen Dekolleté
stets höchstes Interesse. Zum Abschied durften alle Ophelias
legendären Busen in seiner ganzen nackten Pracht sehen. Das Urteil
aber enttäuschte: Natürlich hätte das Volk die Braut des
Paten viel lieber am Galgen bewundert.
Nach soviel Aufmerksamkeit reagierte Ophelia beleidigt, als sie in
der Reihe der Sträflinge als Letzte marschieren musste. Vor allem
entrüstete sie es, hinter einer schwarzen Sklavin angekettet zu sein.
In ihrer Villa hatte sie vier Frauen aus dem Senegal befehligt und ihnen
gezeigt, wer Herrin war im Haus. Zwar hatte sie ihren Sklavinnen zugestanden,
Röcke zu tragen, sie mussten aber mit Fußketten laufen. Auch
ärgerte es Ophelia, dass ihr die beiden vordersten Sträflinge
die Show stahlen. Die blonde Deutsche, weil sie so einen exotischen Anblick
bot, und die junge Ägypterin, weil sie völlig nackt war. Argwöhnisch
musterte Ophelia die Gefangenen. Lizzis Busen war ebenso gewaltig wie ihr
eigener, der von Dina nicht minder. Doch sie war die Frau des Don.
Am Morgen des zweiten Tags ihres Marschs bestand Ophelia darauf, nach
vorn gekettet zu werden. Dafür würde sie auch auf ihre Häftlingskluft
verzichten.
„Lieber nackig sein als hinter einer Negerin herlaufen“, giftete sie
und drehte sich demonstrativ von Dina weg. Die Sklavin schaute betreten
zu Boden.
„Hey, du Schlampe“, gab Lizzi barsch zurück, „noch nicht bemerkt,
was du jetzt bist? Schon vergessen, wohin die Reise geht? In deiner Villa
vögelt dein Mann jetzt andere Nutten, während du nackt in Ketten
aus dem Napf fressen musst!“
„Dreckige Straßenhure“, keifte Ophelia. „Hast in deinem Leben
noch nie Schuhe getragen und willst mich beleidigen!“
„Du wirst dafür auch nie mehr in deinem Leben Schuhe sehen.“ Lizzi
grinste.
Kurz darauf kamen die Wärter und zerrten Ophelia die Hose vom
Leib. Doch statt einer besseren Position bekam sie die Peitsche. Die Gangsterbraut
musste es erst mühevoll lernen, keine Herrin mehr zu sein.
V.
Verzweifelt zerrte Selina an den Handschellen auf ihrem Rücken.
Hilflos musste sie ertragen, wie die drei alten Männer mit feuchten
Händen jede Rundung ihres Busens erkundeten, ihren Bauch tätschelten,
durch den Stoff der Sträflingshose in den Schritt langten. Kalt umschloss
das Eisen die Handgelenke. Das Wissen darum, ihre Brüste nicht einmal
mit den Händen bedecken zu können, steigerte das Gefühl
völliger Blöße in ein grausames Ausmaß. Völlig
ausgeliefert zu sein – daran wollte sich Selina nicht gewöhnen. Daran
konnte sie sich nicht gewöhnen.
Ausgerechnet am Markttag hatten sie die kleine Stadt passiert. Die
Gefangenen standen dort schnell im Mittelpunkt. In einer Reihe zwischen
Obst und Hühnern, barfuß, halbnackt, schmutzig, gefesselt. Einen
ganzen endlosen Vormittag lang, begafft, begrabscht, beleidigt. Selina
zog die meisten Blicke und Griffe auf sich. Drall waren bis auf die zierliche
Cori alle Sträflinge. Besonders Lizzi, Ophelia und Dina zeichneten
sich durch spektakulär große Brüste aus, Selinas und Laras
Busen waren kaum kleiner, Cori hatte die längsten Beine, länger
noch als die Selinas. Vor allem aber glänzte die Deutsche mit hellblondem
Haar. Das machte sie zur Sensation. Da konnte sich die nackte Ophelia noch
so in verführerische Posen werfen, den Busen wackeln lassen, ihre
langen Beine präsentieren, den Po vorstrecken – um Selina drängte
sich das Volk.
Überall erlitt sie die gleiche Demütigung. Seit vier Tagen
stolperte Selina an der Spitze der Gefangenen durch Tabargha, musste ein
Dorf nach dem anderen durchqueren. Es konnte nichts Schlimmeres geben,
als mit entblößtem Busen durch ein fremdes Land gezerrt zu werden.
Selina das Hippie-Girl, das in seinem freien Leben so gern nackt gelaufen
war, schauderte vor Scham.
Die Nächte verbrachten die Frauen in alten Viehställen am
Rand des Weges. Sie blieben am Hals zusammengekettet, aber zumindest wurden
ihnen zum Schlafen die Hände vor den Bauch gefesselt. Einzig bei Ophelia
blieben die Fesseln zur Strafe auch während der Nacht auf dem Rücken.
Schrecklich empfanden gerade die jungen Sträflinge Selina und
Cori jeden Morgen um Fünf den Moment, als die Wärter sie weckten,
um ihre Hände aufs Neue sorgfältig nach hinten zu ketten. Das
Wissen darum, ab jetzt 16 Stunden lang in demütigender Hilflosigkeit
verharren zu müssen, ließ die Mädchen immer wieder schaudern.
Die anderen hatten diese Prozedur hundertfach erfahren. Sie kannten es,
die Arme nicht bewegen zu können, waren es gewohnt, dass Tage mit
Kettengerassel begannen. Ein Geräusch, das Sträflinge ohne Pause
verfolgt.
Ophelia erholte sich rasch von der Peitsche. Am Abend plapperte sie
schon wieder und unterhielt die Frauen mit allerlei Abenteuern aus ihrem
früheren Luxusleben. Obwohl nun nackt, wirkte sie immer noch wie eine
Diva. Im Schneidersitz saß sie da, aufrecht, ihre entblößten
Schamlippen den Mitgefangenen ohne jede Scheu entgegengestreckt. Dass ihre
Hände weiterhin in Ketten auf dem Rücken lagen, schien sie nicht
zu bekümmern. Da sie nicht gestikulieren konnte, warf sie beim Erzählen
den Oberkörper in verschiedene Posen, bis dass ihr dicker Busen wippte.
Ophelia benahm sich wie auf einem Kaffeekränzchen, nicht wie auf einem
Marsch nackter Kettensträflinge. Mit einigem Neid hörten die
anderen zu.
„Gefesselt sein“, beteuerte Ophelia, „macht mir überhaupt nichts
aus. Ganz im Gegenteil: Es macht mich richtig geil! Deswegen habe
ich auch die 14 Jahre im Knast so prima ausgehalten“. Strahlend warf sie
den Kopf zurück und ließ die Schultern kreisen. Die Kette an
ihrem Hals klirrte.
„Was sind schon 14 Jahre“, murmelte Lara dazwischen, während sie
apathisch ihre Hände betrachtete, die sie den ganzen Tag nicht hatte
sehen können. „Nach 14 Jahren im Loch hab ich aufgehört zu zählen.“
„Was soll ich da erst sagen“, warf Lizzi ein. „Ich konnte noch gar
nicht zählen, da saß ich schon im Loch.“
Lachend schüttelte sie ihre schwarze Lockenmähne. „Ist nicht
nett, neben einer angeketteten Mutter aufzuwachsen. Als ich älter
wurde, wollte ich auch endlich Ketten haben, weil ich dachte, das gehört
sich so. Das heißt, auf der Teufelsinsel gehört es sich ja wirklich
so, wie wir bald erfahren werden.“
„Haben sie euch Kleinen nicht gefesselt“, fragte Ophelia lächelnd.
„Schon“, antwortete Lizzi trocken. „So mit zehn Jahren haben sie uns
die Hände mit einem Strick vor den Bauch gebunden, wenn wir zum Spielen
nach draußen durften. Weil ich immer sehr frech war, haben mir die
Wärterinnen die Hände ab und zu auch auf den Rücken gebunden.
Aber das machte mir nichts aus, weil ich dann fast so gefesselt war wie
unsere Mütter und mich richtig erwachsen fühlte. Nur das mit
dem Spielen war so bisschen schwierig. Aber Erwachsene spielen ja
nicht mehr." Wieder lächelte die schöne Ägypterin.
Betreten drehte sich Cori zur Seite. Starrte auf ihre Handfesseln.
Doch Lizzi erzählte munter weiter. „Als sie mich mit zwölf
aufs Festland geschickt haben, war ich echt schockiert, als ich merkte,
dass man normalerweise nicht mit nackiger Möse rumrennt. Und Schuhe
trägt. Und dann erst die Männer. Kannte ich alles nicht. Gut,
Männer habe ich recht schnell kennengelernt. Im Gegensatz zu Schuhen.
Die brauchte ich natürlich nicht. Bald habe ich begriffen, dass man
mit nackiger Möse besonders viele Männer kennenlernt. Na ja,
und Ketten habe ich dann ja auch recht schnell bekommen. In allen Variationen.“
„Warst du mal in Adjorna im Knast“, wollte Lara wissen.
„Ja, klar“, sagte Lizzi. „Aber zum Glück nur ein Jahr. Das ist
doch das schlimme Loch mit den engen Käfigen, oder? Super scheiße.“
„Nach Adjorna kam ich mit 14. War gleich mein erster Knast“, erzählte
Lara leise, während sie ihre zerschundenen Füße rieb. „Als
ich wieder raus kam, war ich 25. In der Zwischenzeit war ich ununterbrochen
am Hals mit so einer Marokkanerin zusammengekettet. Raubmörderin.
Der Käfig war höchstens zwei Quadratmeter groß. Was hat
mich die blöde Fotze dauern gequält. Weil sie Schmiergeld hatte,
durfte sie ein Hemd tragen. Ich nie. Nur zwei Mal pro Woche durften wir
kurz auf den Hof. Da bin ich dann mit der Schlampe an einer Kette im Kreis
geschlurft.“
„Ach ja, erinnere mich“, sagte Lizzi. „immer um den Galgen in der Mitte
rum.“
„Genau. Schön war allerdings, dass die dumme Mörderin immer
geglaubt hatte, ihr Mann würde sie frei kaufen. Entsprechend arrogant
ist sie aufgetreten. Was hab ich mich gefreut, als die Schlampe nach elf
Jahren während eines Hofgangs an den Galgen gefesselt wurde. Weil
sie gebrüllt und alle beleidigt hat, ließ man sie erst mal hocken.
Erst nach vier Tagen hat man sie gehenkt. Sie hat sehr lang gezappelt.
Das habe ich ihr gegönnt.“ Lara lächelte müde.
„Das machen sie gern“, erzählte Lizzi, „Galgenvögel jahrelang
zappeln zu lassen – um sie dann richtig zappeln zu lassen.“
Cori schrie auf.
„Entschuldige Kleine, aber das mit Tatjana war leider nicht die letzte
Hinrichtung, die du in deinem Leben miterleben musstest.“ Lizzi streichelte
Coris Schulter.
„Ich habe nie irgendein Schmiergeld gehabt. Also habe ich in allen
Kerkern auch immer ganz nackt sein müssen“, fügte sie an.
„Genau wie ich“, sagte Lara. „All die Bonzen-Schlampen durften zumindest
ihre Möse bedecken. Manche sogar ihren Busen – wenn sie es sich leisten
konnten. Ich gehörte in den Kerkern dagegen immer gleich zum letzten
nackten Dreck.“
„Ich weiß gar nicht, was ihr wollt“, mischte sich Ophelia ein.
„Meine Eltern hätten jeden Preis gezahlt – aber ich wollte gar nicht
mit irgend welchen blöden Fetzen im Loch hocken. Wenn schon Kettensträfling,
dann richtig! Also natürlich nackig.“
Wie die üppig gebaute Frau so im Stall hockte und trotz entblößter
Scheide und Handschellen auf dem Rücken lächelte, wirkte sie
direkt überzeugend.
„In Belasir hat es mit am besten gefallen. Mein erster Knast. Ich fand
den richtig aufregend. Hatte echt die Schnauze voll von der Villa daheim.
Klar, ein Federbett hat schon was, aber ein Kerker kann echt erregen!“
Ophelia strahlte.
„Hör doch auf mit deinen Geschichten“, maulte Lizzi. „Glaubt dir
ja eh keiner.“
„War aber so!“ Wieder ließ Ophelia schwungvoll ihren Busen wackeln.
„Obwohl ich in Belasir mit 14 die Jüngste war“, fuhr sie fort,
„haben sie mich nicht geschont. Das fand ich gut. Wenn schon, denn schon.
Wir wurden nur nachts an die Wand gekettet. Tagsüber durften wir in
der Zelle rumlaufen. So konnten wir uns alle gegenseitig lecken. Natürlich
immer mit Handschellen auf dem Rücken.“ Die Frau lachte dreckig und
spreizte ihre Beine noch weiter.
„Ich fand Belasir scheiße“, meinte Lara. „Das ist doch der Kerker,
wo sie uns am Morgen mit den Händen über dem Kopf an die Wand
gekettet haben, oder? Und nachts wurden wir ausgestreckt am Boden festgemacht.“
„Nein“, korrigierte Lizzi, „das ist das Loch von El Inar. Da war ich
auch schon.“
Ophelia grinste breit. „El Inar, o ja. Mein zweiter Knast. Harter Laden,
wirklich. Zehn Jahre lang nur dickstes Eisen. Haben die Schergen da mit
euch auch so Programm gemacht? Zu meiner Zeit schon. Morgens die Hände
über den Kopf, nachmittags ewig im Kreis marschieren, abends Hintern
versohlen, nachts Arme und Füße an den Boden ketten. Sonntags
sind wir an den Händen aufgehängt an einer Eisenstange über
dem Hof gebaumelt. Irgendeines von den ganz bösen Mädchen haben
sie jedes Mal nach einiger Zeit runtergelassen. Aber nur kurz. Die Frau
bekam die Hände hinter den Rücken gekettet und wurde sofort wieder
an die Stange gehängt, nur dann mit einem Strick um den Hals. Mann,
o Mann, was für ein Gestrampel. El Inar ist echt die Hölle."
„Falsch“, rief Lizzi barsch. „Die Hölle ist auf der Teufelsinsel.“
Betretenes Schweigen. Selina und Lizzi hielten sich gegenseitig ihre
gefesselten Hände, Dina flocht einen langen Zopf in Coris Haar, was
ihr trotz Handschellen sehr gut gelang. Lara rieb gedankenverloren ihren
Busen.
Um so mehr plapperte bald wieder die Gangsterbraut.
„Auch in unserer Villa“, fuhr Ophelia fort, „hat mich mein Mann immer
verschnürt. Nackig natürlich. Ich liebe es, nackt zu sein. Zu
Hause bin ich den ganzen Tag nur nackig rumgelaufen. Auch vor den Sklavinnen.
Die haben sich erst gewundert über ihre nackte Herrin.“ Ophelia lachte
dreckig. „Aber dafür hatte ich ja die Peitsche. Da haben die schon
gemerkt, wer da wirklich nackig ist!“
Dina zog instinktiv den Kopf ein.
„Nur draußen Barfußlaufen mag ich nicht“, plapperte Ophelia
weiter. „Ich hasse es, Dreck an den Sohlen zu haben. So wie armselige Bettlerinnen.“
Was für eine seltsame Frau, dachte Selina. Sitzt da vollkommen
nackt in einem Viehstall, stört sich nicht daran, dass sie Handschellen
auf dem Rücken tragen muss, beschwert sich aber über schmutzige
Füße.
„Jede Nacht“, behauptete die Gangsterbraut, „bin ich eng ans Ehebett
gekettet worden und habe es genossen, hilflos gebumst zu werden. Nach dem
Frühstück hat mir mein Mann die Hände auf den Rücken
gefesselt – mit einem Seidenschal natürlich. Dann habe ich ihm immer
einen geblasen. Dann hat er mich mit Ketten an den Händen an die Decke
gehängt, mir die Rute gegeben und mich stehend gefickt. Manche
Wochenenden hatte ich fast ununterbrochen die Hände auf den Rücken
gefesselt. Die Hilflosigkeit hat mich immer so scharf gemacht! So saß
ich auf dem Tisch während der Don arbeitete und habe ihm meine nasse
Möse ins Gesicht gehalten. Zwischendrin hat er mich immer wieder gebumst.
Fesseln sind wahnsinnig geil!“ So redete sie weiter.
„Na toll, dass du jetzt den Rest deines Lebens gefesselt sein darfst“,
unterbrach Lizzi sichtlich genervt. „Zu blöd nur, dass es auf der
Insel keine Männer gibt, die dich ficken können. Noch nicht einmal
Wärter.“
Angriffslustig setzte Lizzi noch eins drauf. „Auch blöd, Ophelia,
dass du dir die nächsten Tage nicht den Finger in die Möse stecken
kannst. Also wenn du dich einsam fühlst, kannst du ja Dina fragen,
ob sie dich leckt.“
Wäre Ophelia nicht gefesselt gewesen, hätte sie zugeschlagen.
Hass funkelte in ihren Augen. Dann sagte sie nichts mehr.
VI.
Die Teufelsinsel lag drohend im Meer. Das flache Stück Land wirkte
aus der Ferne klein, aber wuchtig. Die Gefangenen standen am Ufer und fröstelten.
Jede der sechs Frauen ahnte, was nun auf sie zukommen würde. Nur Lizzi
wusste es. Erinnerungen überkamen sie. Zum ersten Mal rollten Tränen
über Lizzis Gesicht. Viele Stunden hockten die Häftlinge in der
Sonne am Ufer und warteten. Irgendwann näherte sich ein zehn Meter
langes Boot und legte an. Links und rechts saßen in drei Reihen je
zwei Frauen. Schweiß glänzte auf ihren nackten Leibern. Sie
schienen die Neuankömmlinge kaum zu realisieren, starrten apathisch
in die Ferne. Füße und Hälse waren mit Ketten am Boden
befestigt. Ihre zusammengeketteten Hände umklammerten die Ruderstangen.
Sie bewegten sich wie Roboter, keine sprach. „O mein Gott“, entfuhr es
Selina. Galeerensträflinge.
Hintereinander knieten die Häftlinge in der Mitte des schwankenden
Bootes. Die Wärter hielten die Peitsche ruhig, denn die zwölf
nackten Ruderinnen legten sich auch ohne Zwang ins Zeug, stemmten sich
mit wogenden Brüsten in die Ruder. Holz ächzte, Ketten klirrten.
Bedrohlich rückte die Insel näher. Selina wagte einen Blick zurück
aufs Festland. Woher sie kam, hatte sie die Hölle erfahren. Was sie
erwartete, konnte kaum schrecklicher sein. Oder doch?
Von Mauern umschlossen standen etwa zehn flache Ziegelbauten. Mit gesenkten
Köpfen knieten die neuen Häftlinge nebeneinander auf dem lehmigen
Boden. Selina schlotterte, Lizzi versuchte aufmunternde Sprüche, Ophelia
beschimpfte Dina, Lara summte leise vor sich hin, die kleine Cori weinte
hemmungslos.
Nach gut einer Stunde ungewissen Wartens unterbrach lautes Rasseln
die Stille. Hintereinander zusammengekettet zogen zwei Reihen nackter Frauen
vorbei. Es waren die Rudersklavinnen. Offenbar war ihr Tag zu Ende. Langsam
schleppten die Gefangenen ihre schweren Fußeisen vorwärts. Die
Hände hatte man ihnen inzwischen auf den Rücken gefesselt. Selina
erkannte Frauen verschiedenster Herkunft: Viele Nordafrikanerinnen mit
hellbraunem Teint, zwei Schwarzafrikanerinnen, drei schienen aus Australien
oder den USA zu kommen. Eine hellblonde Gefangene wirkte skandinavisch.
Apathisch starrten alle zu Boden, kamen langsam vom Fleck. Selina schätzte,
dass die Jüngste kaum 25 war und die Älteste etwa 40. Die Ruderinnen
hatten muskulöse Körper. Vermutlich, glaubte Selina, wurden sie
deshalb so streng gefesselt.
Die Sonne stand schon tief, da trat plötzlich eine stämmige
Frau aus einem Gebäude, baute sich vor den Gefangenen auf und lachte
böse. Ihr schwarzes Haar wallte weit den Rücken hinunter, das
Tuch darin bändigte die Mähne kaum. Sie trug einen langen schwarzen
Rock, aus einem knappen, ebenso schwarzen Top aus Leder quollen riesige
Brüste. Die schlanken Füße waren nackt. In der Linken hielt
sie eine Peitsche. An den Handgelenken trug die Frau Eisenschellen. Das
Fehlen der Kette dazwischen signalisierte: Ich war eine Gefangene, aber
jetzt halte ich die Häftlinge gefangen. Chlorisse, die Oberaufseherin,
verstand es, sich Furcht erregend in Szene zu setzen. Sie war Anfang 40,
zwei Jahrzehnte davon hatte sie hier in Ketten gelebt. Um so gnadenloser
regierte sie die Teufelsinsel. Lizzy hatte nicht gelogen: Hier herrschten
nur Frauen, alle ehemalige Sträflinge.
Hinter ihr nahmen die untergebenen Wärterinnen Aufstellung. Alle
zwischen 30 und 40 Jahren alt, schlank, barfuß. Sie wirkten stolz.
Selina traute ihren Augen nicht: Die Beine der Frauen steckten in langen
Jeans. Und das tief in Nordafrika. Chlorisses besondere Position verdeutlichte
nicht nur ihr Rock, sondern auch ihre halb bedeckten Brüste, denn
die Oberkörper ihrer Assistentinnen waren braungebrannt, aber bis
auf die Eisenschellen an den Handgelenken nackt.
Dahinter erkannte Selina mehrere Mädchen im Alter zwischen zehn
und 20, die keine Kleider trugen, sondern nur Ketten an den Füßen.
Wie sie später erfuhren, waren es die Töchter der Wärterinnen,
die hier einfache Tätigkeiten verrichten mussten – während ihre
Brüder auf dem Festland als Sklaven litten.
„Willkommen die Damen“. Chlorisse tönte verächtlich. „Heute
ist ein besonderer Tag“. Selina zitterte. „Heute habt ihr zum letzten
Mal Stoff auf der Haut gespürt.“ Die Wärterinnen grinsten.
„Ab jetzt“, fuhr die Aufseherin fort, „wird es nur noch Eisen sein. Also
runter mit den Hosen! Ab in die Kettenkammer!“
Als ihr die Häftlingshose vom Leib gezogen wurde, begriff Selina
schlotternd die Zäsur in ihrem Leben. „Mein Gott“, stammelte das Hippie-Mädchen
halblaut vor sich hin, „du wirst den Rest deines Lebens lang nackt sein“.
Das wollte sie doch früher immer. Tagsüber nackt durch den
Sand tanzen, dann nur ein Seidentuch um die Hüften binden. Nicht mehr.
Davon hatte Selina immer geträumt. Was war sie für eine Attraktion
gewesen auf den Reggae-Festivals, die sie besucht hatte. Wild wehte beim
Tanzen die Batik-Hose um ihre meterlangen Beine, ihre bloßen Füße
fegten über den Boden, die Rasta-Mähne schwang, die üppigen
Brüste wippten im Takt. Selina lief auf diesen Festen Tag und Nacht
prinzipiell mit nacktem Oberkörper umher und genoss die vielen gierigen
Blicke.
Jetzt glotzten nur die Wärterinnen. Hämisch. Selina spürte
nichts als Schmerz und Demütigung. Für immer nackt. Cori und
sie bedeckten instinktiv ihre Scham und wimmerten, als ihnen die Wärterinnen
gleich darauf die Arme grob auf den Rücken drehten und die Gelenke
mit massiven Schellen eng zusammenketteten. Die anderen, erfahrenen Gefangenen
hielten die Hände wortlos hin. Minutenlang klickten Schlösser.
Dann bekamen alle ein dickes Halseisen angelegt.
„Wie kann man so schweres Metall um den Hals nur ertragen“, wisperte
Selina in Lizzis Richtung. „Das ist doch unmöglich.“
„Ach Kleine“, meinte die. „Besser Eisen um den Hals als einen Strick.“
„Bist du da ganz sicher?“, fragte Lara mit tonloser Stimme. Von der
Gelassenheit der Frau mit der langen Gefängniserfahrung war jetzt
nicht mehr viel übrig. Lara wirkte seit der Ankunft auf der Insel
plötzlich resigniert.
Lizzi sagte nichts mehr über den Strick.
In der Kammer hingen Ketten in allen Größen. Die Schellen
wurden den Hand- und Fußgelenke der Sträflinge genau angepasst,
schließlich mussten sie diese für viele, viele Jahre umfassen.
Das Metall sollte keine unnötigen Wunden verursachen. Es blieb die
einzige Rücksichtnahme hier.
„Hey, Hippie-Tussi!“. Chlorisse stupste Selina mit dem Stiel der Peitsche
an. „Für dich Hübsche haben wir was ganz Feines.“
Grinsend schleiften zwei der barbusigen Wärterinnen eine besonders
dicke Kette heran und befestigten sie an Selinas Fußschellen. Es
mussten gut über zehn Kilo sein, die sie nun für den Rest ihres
Lebens schleppen musste.
„Nein, nein!“, schrie die junge Frau. „Das dürft ihr nicht tun!
Warum, gerade ich?“
Tränen rollten über Selinas Gesicht. Sie konnte sie nicht
fortwischen. Es war der Bosheit zuviel, sie verlor endgültig jede
Beherrschung.
„Warum tut ihr mir das an?“ Selina krümmte sich.
„Vielleicht, weil du so schön bist“, antwortete eine der Wärterinnen
und ließ das Schloss zuschnappen. Ihr nackter Oberkörper glänzte
golden braun, die Jeans saßen eng an ihren schlanken Beinen. Nur
an ihrem Hals zeigte ein weißer Ring auf der Haut, dass ihn bis vor
kurzem noch ein Eisenkragen umschlossen hatte.
„Ketten kriegt ihr alle“, zischte die zweite Wärterin. „Ein paar
Kilo hin oder her sind doch völlig egal. Also kreisch hier nicht so
rum, du Hippie-Fotze!“
„Noch dickere Fußketten haben wir nicht“, sagte Chlorisse unter
Gelächter. „Die kriegen nur ganz edle Gäste.“
Die Ketten der anderen Gefangenen machten gleichwohl jeden Meter zur
Qual, wogen aber weniger als die Selinas. Nur Ophelia bekam noch die extra
schweren Fußeisen verpasst. Wortlos verfolgte sie die langwierige
Ankettung.
„Dir Gangster-Schlampe gehört es nicht anders“, höhnte Chlorisse.
„Wünsche einen netten Aufenthalt auf unserer Insel. Die Fütterung
habt ihr leider schon verpasst. Und jetzt, meine Damen, ab ins Loch!“
Selina bebte nach so viel Gemeinheit. Für immer nackt. Schwankend
schlurfte das blonde Mädchen mit den Rasta-Locken an der Spitze der
Frauen Richtung Kerker. Das Klirren tönte grässlich in den Ohren.
Mit Mühe schaffte sie gerade einen Schritt pro Sekunde. Es ging demütigend
langsam vom Fleck.
„Keine Sorge“, sagte Chlorisse grinsend. „Du wirst das Laufen schon
noch lernen.“ Und immer noch grinsend ließ sie die Peitsche auf Selinas
Rücken knallen.
„Versuche, die Ketten als Teil deines Körpers zu akzeptieren“,
erinnerte sie Lizzi, und leise fügte sie hinzu: „es bleibt dir schon
gar nichts anderes übrig.“
VII.
Es dauerte lang, bis sich ihre Augen an das Dunkel gewöhnt hatte.
Die Zelle war ungefähr vier Meter lang und zwei Meter breit, die Decke
niedrig.
Natürlich gab es kein Fenster. Stroh auch nicht. Nur kalten Stein.
Lizzi und Selina wurden von zwei der halbnackten Wärterinnen unsanft
in dieses Loch gestoßen, konnten den Sturz nicht abfangen, weil sie
noch die Handschellen am Rücken trugen. Mühevoll rappelten sie
sich auf. Zumindest durften die beiden zusammen bleiben.
„Schönen Tag zusammen“, murmelte Lizzi in die Düsternis.
„Nett habt ihr’s hier.“
An der linken Längsseite der Zelle hockten dicht gedrängt
sechs Frauen in einer Reihe. Sie bewegten sich nicht. Langsam sahen die
Neuankömmlinge klarer: Die Sträflinge waren schmutzig und trugen
nichts am Leib außer Ketten. Ganz links, gleich bei der Gittertür,
kauerte eine kleine, leicht pummelige Frau mit langen braunen Haaren und
dickem Busen, die kurzen schlanken Beine ausgestreckt, die Hände hinter
sich verschränkt. Vom Eisen um ihren Hals führte eine Kette zu
einem Ring am Boden. Die Länge der Kette erlaubten es zu hocken, aber
nicht aufzustehen. Aus den großen dunklen Augen der Gefangenen blickte
tiefe Traurigkeit. Als sie aufschaute, ging ein Klirren durch den Kerker.
„Hallo“, sagte sie monoton. „Ich bin die Jodi.“
Selina schauderte als sie erkannte: Allen Frauen hier waren die Hände
auf den Rücken gekettet. In der Zelle! Die ganze Zeit! Das konnte
nicht wahr sein.
Zitternd sah sie zu Lizzi. Die schien den Blick erraten zu haben.
„Ja, meine Liebe, so ist das hier. Nur zur Arbeit nehmen sie uns die
Dinger ab. Pünktlich zum Feierabend fesseln sie uns die Hände
wieder nach hinten, damit wir in der Zelle keine Dummheiten anstellen können.“
„Aber wie kann man so gefesselt schlafen?“, fragte Selina verzweifelt.
„Du wirst nach zwölf Stunden Arbeit bestimmt schlafen können“,
antwortete Lizzi. Nach einer Pause fügte sie an: „Ich habe dir doch
gesagt, dass sie uns behandeln werden wie Tiere. Von abends um Sechs bis
morgens um Sechs wirst du deine Arme nicht rühren können. Natürlich
auch zum Essen nicht. Bei der Arbeit bewegst du sie dafür um so mehr.“
Selina wurde schlecht bei der Vorstellung. Bisher hatte sie gehofft,
die strenge Fesselung gelte nur für die Zeit außerhalb der Zelle.
Die Gesichter der Frauen an der Kerkerwand verrieten, dass dem nicht so
war.
Die Zweite in der Reihe war eine mehr als dralle Erscheinung. Groß,
muskulös, leicht übergewichtig, mit Waden, die fast so dick waren
wie Coris Oberschenkel. Das Grinsen der Frau verriet eingeschränkte
Intelligenz. Sie schien Ende 20 zu sein. Fette Brüste hingen ihr bis
zum Bauchnabel. Mit angewinkelten Füßen saß sie da, die
Knie auseinander gestreckt reckte sie den Neuankömmlingen lüstern
ihre gespreizten Schamlippen entgegen.
„Ich bin Donita“, sagte sie immer noch grinsend und leckte ihre Lippen.
Was für eine Furcht erregende Gestalt. Gut, dachte Selina, dass
sie gefesselt ist.
Neben Donita lag eine schlanke langbeinige Frau auf dem Bauch, wenig
älter als 30, das Gesicht zu Boden gepresst. Stumm, apathisch.
Selina sah tief schwarze Fußsohlen - und dicke Eisenschellen,
die ihre Hände auf den Rücken zwangen.
„Diese Schönheit da heißt Sasa“, erklärte Donita mit
einem Seitenblick. „Die liegt jetzt schon seit mindestens acht Jahren in
Ketten, aber heult immer noch wie am ersten Tag. Früher war sie eine
echte Bonzen-Mieze. Blöd gelaufen.“
Neben der wimmernden Sasa saß eine Frau mit grauen Strähnen
in den Haaren. Sie musste einmal sehr schön gewesen sein, doch die
Jahre in diesem Loch hatten Spuren hinterlassen. Eng an sie geschmiegt
lag ein wunderschönes Mädchen, höchstens 16 Jahre alt, mit
blondem Haar, langen Beinen und schlanken Füßen. Auch ihr waren
die Hände auf den Rücken gefesselt, ihre Fußketten schienen
ebenso dick wie die der anderen Frauen.
„Diese zwei Hübschen sind Pauline und ihre Tochter Lisa.“, erklärte
die redselige Donita. „Lisa ist hier im Loch geboren. Zwei Jahre war sie
frei, aber da scheint es ihr nicht so gefallen zu haben, denn sie kam bald
wieder zurück.“
„Halts Maul, Donita!“, entgegnete Pauline. „wir können selber
reden.“
„Dann begrüße unsere zwei Neuen doch, alte Fotze!“
„Beachtet diese fette Kuh einfach nicht“, sagte Pauline. „Sie ist nicht
nur dumm, sondern auch gefährlich. Donita hat mindestens fünf
Leute umgebracht.“
„Sechs!“, rief die wuchtige Frau mit den riesigen Brüsten, „und
dir, Pauline, drehe ich auch noch mal den Hals um!“
Ängstlich sah Selina Lizzi in die Augen.
„Tja, Selina, hier gibt es eben auch wirklich böse Mädchen.
Nicht nur diebische kleine Nutten wie uns. Komm, setzen wir uns.“
Lisa blickte ängstlich auf die neuen Häftlinge, als sie an
ihr vorbei schlurften.
Am Ende der Reihe war die älteste Insassin angekettet. Graue Locken
wallten bis zum Boden. Sie schien groß und schlank, die Beine lang,
der dralle Busen war früher vermutlich noch straffer gewesen, sah
aber immer noch stattlich aus. Obwohl viele Falten ihr Gesicht durchzogen,
strahlte die Gefangene Schönheit und Würde aus. Mit müden
Augen musterte die Gefangene Lizzy und Selina, die unschlüssig vor
den angeketteten Frauen standen.
„Da ist euer Platz“, sagte die Grauhaarige und deutete mit einem Kopfnicken
nach links, wo zwischen ihr und der Mauer noch knapp ein Meter Platz war.
Die Kette an ihrem Hals klirrte bei dieser Bewegung.
Selina und Lizzi zwängten sich in den Freiraum. Acht Frauen mussten
hier zwölf Stunden täglich mit auf den Rücken gefesselten
Händen und an den Hälsen angekettet in drangvoller Enge nebeneinander
auf vier Metern Länge sitzen. Wenigstens war die Zelle breit genug,
um ausgestreckt liegen zu können.
Zitternd kauerte Selina zwischen der Grauhaarigen und Lizzi. Irgendwann
kamen zwei Wärterinnen. Die hellen blauen Jeans und der Schweiß
auf ihren nackten Oberkörpern schimmerten. Ihre Brüste wippten,
als die Frauen die Halsschellen der neuen Häftlinge mit einer dicken
Kette sorgfältig am Boden anschlossen. Zu Selinas Schrecken schleppten
die Frauen weitere Ketten herbei. Mit einer verbanden sie die Ketten zwischen
Selinas und Lizzis Füßen, mit der zweiten fesselten sie – ebenfalls
an den Füßen – Selina und die Grauhaarige aneinander. Jetzt
erst erkannte sie: Alle Häftlinge in der Zelle waren auf diese Weise
durch Ketten verbunden. Wie im Gerichtskerker würden sie auch hier
an den Füßen zusammengekettet mühsam hintereinander her
schlurfen müssen, ahnte Selina. Ohne Unterbrechung. Für immer.
Die Wärterinnen feixten. „Wir hoffen, eure Ketten sitzen schön
fest. Essen gibt’s erst wieder morgen. Aber eine Freude ist das auch nicht.
Gute Nacht.“
Die Gittertür fiel ins Schloss. Jetzt waren sie endgültig
im Kerker angekommen.
Selinas Lippen bebten. Derart gedemütigt würde sie den Rest
ihres Lebens alle Abende und Nächte verbringen müssen. Unfähig
aufzustehen, unfähig, die Arme zu gebrauchen, dazu verdammt, zu fressen
wie Tiere. Jede Regung verursachte schauriges Kettenrasseln.
„Das ist die Hölle“, flüsterte Selina in sich hinein. Es
war die Hölle.
VIII.
„Welches Jahr haben wir“, fragte die grauhaarige Gefangene und versuchte
ein Lächeln. Sie sprach Englisch.
Selina erschrak. „1998“, flüsterte sie. „Oktober oder November“.
„Ey cool“, antwortete die Frau, „dann kann ich ja heuer Jubiläum
feiern.“
Klirrend wandte sie sich ihrer Zellennachbarin zu.
„Hi! Ich bin Heather.“ Mit feuchten Lippen drückte sie Selina
unvermittelt einen dicken Kuss auf den Mund.
„Ich kann dir ja leider nicht die Hand geben. Du bist eine Hippie,
nicht wahr? Das war ich früher auch mal. Ich komme eigentlich aus
Boston.“
„Wie, ... wie, ... lange bist du denn schon hier?“, stammelte Selina
„Seit 1968“, antwortete Heather und lächelte müde. „30 verdammte
Jahre."
Wieder setzte sie zu einem Kuss an. Diesmal mit ausgestreckter Zunge.
Eine Weile starrte Heather vor sich hin, als wäre nichts passiert.
Plötzlich sagte sie: „O my God! Dann werde ich ja dieses Jahr 50.
Fuck.“
„Wie hast du all die Jahre nur ausgehalten?“ Selina wollte von sich
ablenken.
„Keine Ahnung. Habe immer so vor mich hingedämmert. Nenne es Meditation,
wenn du willst. Irgendeine Art musst du hier finden, um es zu ertragen,
ununterbrochen gefesselt zu sein, auf dem Feld zu schuften, geschlagen
und angebrüllt zu werden und dein Essen schlürfen zu müssen
wie ein Schwein.“
Grinsend fügte sie hinzu: „Und mit Sex sieht es auch eher dürftig
aus, wie du dir denken kannst. Nicht mal selber den Finger reinstecken
können wir uns hier. Da müssen wir uns eben gegenseitig helfen.
Leider haben sie meine süße langjährige Nachbarin vor einiger
Zeit aufgehängt. Und Pauline hier neben mir kümmert sich lieber
um ihre Tochter. Naja, du könntest ja auch meine Tochter sein.“
Heather sah ihr eindringlich in die Augen, und Selina verstand. Lizzi
in der Ecke verzog sofort eifersüchtig das Gesicht.
„Wenn Selina hier irgendwen leckt, dann mich, du geile alte Hexe!“,
giftete Lizzi.
„Cool bleiben, schöne Frau“, versetzte die Amerikanerin gelassen.
„Wir müssen alle ein wenig lieb zueinander sein, sonst halten
wir das hier nicht aus. Das werdet ihr schon noch spüren.“
Mit dunkler Stimme mischte sich die plumpe Donita ein: „Ich würde
Heather gern lecken. Leider ist meine Kette zu kurz. Und Sasa lässt
sich ja nicht, oder?“
Mit dem Knie stupste Donita die langbeinige Frau neben sich an, die
immer noch stumm auf dem Boden lag. Sasa wimmerte und krümmte sich.
Selina sah, wie die gepeinigte Frau an den Eisenschellen auf ihrem Rücken
zerrte.
„Lass sie doch endlich in Ruhe. Wer will dich schon lecken“, schimpfte
die kleine Jodi mit dem großen Busen und warf ihrer Nachbarin einen
bösen Blick zu.
Doch Donita gab keine Ruhe. „Tja, Jodi. Nur blöd, dass du da ganz
im Eck sitzt. Wenn ich es dir nicht besorge, dann tut es niemand. Weil
sonst keiner an deine süße nackige Möse hinkommt. Irgendwann
brauchst du es doch auch mal.“
Die schreckliche Frau lachte dreckig.
„Ich brauche gar nichts mehr – ganz im Gegensatz zu dir“, sagte Jodi
kühl.
„O ja“, hauchte Donita und begann, affektiert zu stöhnen. „Seit
sie Leila gehängt haben, hat es mir keine mehr besorgt.“ Keuchend
leckte sie sich die Lippen.
„Halts Maul, du fette Nutte!“, rief Pauline. Ihre Tochter duckte sich
ängstlich. Sie war noch so jung, trug aber schwere Ketten an zarten
Gliedern.
Lizzi verfolgte die Szene mit bösem Blick. „Typisch Kettenmädels“,
brummte sie, „dauernd vom Fotzenlecken reden, weil sonst nichts geht. Kenn
ich schon.“
Selina schauderte. Hier ging es zu wie in einem billigen Pornofilm.
Doch das war nun ihr Leben. Um das Thema zu wechseln, wandte sie sich wieder
Heather zu.
„Was sind das für seltsame Wärterinnen. Warum tragen die
ausgerechnet Jeans, sind aber sonst nackt?“
„Na hör mal!“, versetzte die Amerikanerin. „Diese Damen sind vorher
so elend in Ketten gelegen wie wir. Jetzt sind sie Wärterinnen. Und
wenn du jahrelang mit nackiger Möse rumrennen musstest, ist eine Hose
ja wohl ein Aufstieg.“
„Und wenn sie eine ihrer alten Mitsträflinge irgendwie bevorzugen?“
„Dann enden sie am Galgen. Aber nicht sofort. Erst nach Monaten übelster
Qual. Deshalb machen sie auch am liebsten Frauen zu Wärterinnen, die
hier Töchter haben. Die würden dann neben ihren Müttern
hängen, wenn die Scheiße bauen. Ist alles schon passiert. Nein,
nein“, Heather sah Selina eindringlich an. „Unsere Wärterinnen sind
gnadenlos. Ohne Ausnahme. Nur so können sie nach 30 Jahren die Insel
verlassen. Keine Ahnung, ob das schon mal eine geschafft hat.“
Sasa schrie laut auf. Nahezu hysterisch begann sie, mit ihren langen
Beinen zu strampeln und an den Fesseln zu zerren. Erstmals sah Selina das
Gesicht der Gefangenen. Wunderschön. Vermutlich Tunesierin, Anfang
30, mit hohen Wangenknochen, schlank, wohlgeformten Brüsten, Zöpfe
im dunkelbraunen Haar – aus Sasas verführerischen Mandelaugen blitzte
blanke Panik.
„Ach weh“, maulte Donita, „unser Schätzchen hat mal wieder einen
ihrer Anfälle.“
Pauline versuchte, die schluchzende Sasa zu trösten so gut es
ging. Weil sie die Frau nicht in die Arme nehmen konnte, übersäte
sie sie mit Küssen.
„Sasa hat nämlich zwei kleine Töchter“, erklärte Heather.
„Zwillinge. Die müssten jetzt 14 sein. Ihr Mann war ein reicher Geschäftsmann
und ein brutales Schwein. Weil ihm Sasa keinen Sohn schenkte, hat er sie
verstoßen, stimmt‘s?“
„Er hat sie aus heiterem Himmel wegen Ehebruchs angezeigt“, fügte
Pauline an. „Darauf steht leider die Insel. Das war vor acht Jahren.“
Sasas Schluchzen wurde leiser. Kettenrasselnd richtete sie ihren Oberkörper
auf und begann, vom Weinkrampf geschüttelt, zu erzählen.
„Sie haben mir keine Chance gelassen. Nelli und Nina waren kaum sechs
Jahre alt, als mich die Polizei holte. Die Mädchen mussten zusehen,
wie sie mich vor den Augen der gesamten Dienerschaft gefesselt und abgeführt
haben.“
Ungehindert rollten Tränen über ihr Gesicht.
„Die Besuche im Gerichtsverlies waren am schlimmsten. Meine Schwester
kam mit ihnen so oft es ging. Sie waren alt genug, um zu begreifen, dass
mein Leben nun anders war. ,Warum bist du so nackig?‘, haben die Kleinen
gefragt, als ich vor ihnen in den Käfig des Besuchsraums gekettet
wurde. Es war erniedrigend, nur in der elenden Häftlingshose vor meinen
Kindern sitzen zu müssen. ,Warum sind deine Füße so schwarz?‘,
wollten sie wissen. Es war so fürchterlich.“
Eine Weile steckte Sasa ihren Kopf zwischen die Knie und schluchzte.
„Ab und zu hat eine gnädige Wärterin gegen ein Gesetz des
Kerkers verstoßen und mir wenigstens für ein paar Minuten die
Handschellen abgenommen, damit ich meine Mädchen durch das Gitter
umarmen konnte.“
Wieder schüttelte sie sich vor Weinen.
„Am schlimmsten war das Ende der Besuchszeit, wenn die Wärter
in den Käfig kamen, mir die Handschellen anlegten, um mich zurück
in die Zelle zu zerren.“
Mit dem Knie versuchte Sasa, Tränen aus ihren Augen zu wischen.
Doch gleich darauf verzerrte sich ihr Gesicht erneut vor Schmerz.
„Ich werde Nelli und Nina niemals wieder sehen.“
Sasa sank wimmernd zur Seite.
„Gibt es keine Chance? Hast du etwa lebenslänglich?“, fragte Selina
vorsichtig.
„Wir haben hier alle lebenslänglich“, entgegnete Heather barsch.
„Weißt du denn nicht, wie das hier läuft, dummes Ding?“
Selina zuckte die Schultern.
„Sie lassen uns schuften, so lange wir es schaffen, dann hängen
sie uns. Alle.“
„Sie hängen uns alle?“ Panisch blickte Selina zu Lizzi neben ihr.
Die sah betreten zu Boden, weil sie das ihrer Freundin bis jetzt verschwiegen
hatte.
„Uns alle?“ Jetzt brüllte sie. „Ich muss am Galgen sterben? Am
Galgen?“
„Was dachtest du denn, Süße“, mischte sich Donita ein. „Hast
du etwa geglaubt, die schicken wieder nach Hause, wenn sie dich nicht mehr
für ihre Drecksarbeit brauchen können? Irgendwann gibt’s einfach
einen Strick und fertig.“
„Stimmt leider“, sagte Pauline vermittelnd. „Das Urteil lautet zwar
lebenslänglich, aber die Schweine hier bestimmen selber, wann unser
Leben zu Ende ist.“
„Überleg mal“, murmelte Lizzi. „Dass wir keine Chance auf Begnadigung
haben, wussten wir doch vorher. Lieber sterbe ich in einer unangenehmen
Viertelstunde mit einem Strick um den Hals, als jahrelang elend vor mich
hin zu siechen.“ Lizzi wusste, dass sie wenig überzeugend wirkte.
„Aber wo ist dann der Unterschied zwischen einer Diebin und einer Mörderin?“,
fragte Selina mit zitternder Stimme.
„Ach Kind“, sagte Heather. „Da gibt es viele Möglichkeiten. Ganz
böse Mädchen bekommen eben öfter die Peitsche und müssen
mindestens 30 Jahre schuften. Dann wandern sie ohne Umweg zum Galgen. Donita
zum Beispiel wird jede Woche am meisten durchgeprügelt, aber sie ist
so dämlich, dass ihr das offenbar nichts ausmacht. Hoffentlich wird
sie wenigstens besonders langsam gehenkt.“
Donita glotzte blöde herüber.
Als wäre nichts gewesen, fuhr Heather fort: „Die harmloseren Sträflinge
werden, wenn sie immer gehorsam waren, nach 20 oder 25 Jahren von der Zwangsarbeit
erlöst und dürfen noch ein paar Jahre in Ruhe rumsitzen, bevor
sie baumeln.“
„Und wie ist es bei dir?“
Heather lächelte. „Du willst es aber genau wissen, Kleine. Na
gut. Damals vor 30 Jahren war ich nur ein naives Hippie-Mädchen mit
Blumen im Haar und nackten Füßen, die auf dem Weg nach Tunesien
mit 20 Gramm Shit erwischt wurde. Also eigentlich harmlos. Blöderweise
habe ich ein paar Mal die Wärterinnen geärgert. Deshalb lassen
sie mich weiter auf dem Feld schwitzen. Schade. Der Vorteil am Ruhestand
ist nämlich auch, dass sie dir die Hände endlich gnädigerweise
vor den Bauch ketten. Naja, vielleicht erlebe ich das noch einmal.“
„Wann werden sie dich hängen“, fragte Selina vorsichtig.
Heather blickte gleichgültig. „Was weiß ich. Nächste
Woche, in ein paar Jahren, spätestens in zehn Jahren, weil älter
als 60 darf hier keine werden. Hauptsache, ich bekomme noch ein paar Jahre
meine Ruhe. Lebensabend sozusagen. Keine Peitsche mehr. Endlich mit Händen
essen dürfen zum Beispiel. Wie gesagt: Seit 30 Jahren muss ich aus
dem Napf fressen wie ein Schwein. Das nervt.“
„Wann, wann ... werden sie mich hängen?“ Selina hielt den Kopf
gesenkt.
„Kann dauern, Kleine. Du bist jung und gut gebaut. Solche stattlichen
Weiber wie dich brauchen sie auf dem Feld. Ich fürchte, sie lassen
dich mindestens 25 Jahre schwitzen – wenn du brav bleibst. Wenn nicht,
noch viel länger – so wie mich, 30 Jahre Minimum. Ich fürchte,
du wirst erst in über 30 Jahren am Strick baumeln.“
„Du fürchtest?“
„Tja, Kleine, fürchte ja. Der Tod ist diesem Elend hier deutlich
vorzuziehen. Zwar kannst du deine Hinrichtung vorziehen, wenn du eine Wärterin
anfällst, aber die Quälerei, die dich dann erwartet, dürfte
schlimmer als die Hölle sein.“
„Übertreibe mal nicht“, fuhr Pauline dazwischen. „Als Leila damals
rebelliert hat, hat sie nur ein paarmal mehr die Peitsche gekriegt und
den Strick schon nach elf Tagen in der Todeszelle. Okay, nach wenig schönen
Tagen.“
„Gut, Leila. Aber die durfte ja auch Chlorisse lecken. Denk an die
arme Astosha.“
Pauline zuckte zusammen und schwieg.
Doch Selina ließ nicht locker.
„Im Gerichtskerker haben sie ein Mädchen gleich aufgehängt,
ihre Freundin, die mit weniger Drogen erwischt worden ist, aber auf die
Teufelsinsel geschickt. Das ist doch eine viel schlimmere Strafe.“
„Tja, die sind hier eben abartig. Eine Gefangene nicht gleich hinzurichten,
sehen die als Gnade. Ganz egal, ob die Arme dann noch jahrzehntelang wie
ein Tier vor sich hin vegetiert – und dann erst an Galgen baumelt.“
„Aber das ist doch nicht gerecht!“ Selina schrie fast.
„Naives Ding.“ Heather lächelte. „Schau uns doch an, wie wir nackt
und gefesselt in diesem Loch hocken. Was bitte ist hier gerecht? Kleine,
du musst akzeptieren, dass du ab jetzt ein Kettenmädchen bist, sonst
gehst du ganz schnell kaputt.“
Mit schneidendem Klirren fiel die alte Amerikanerin in Apathie zurück.
Ich bin jetzt ein Kettenmädchen. Ein Kettenmädchen! Selina
riss verzweifelt an ihren Handschellen. Weinend schmiegte sie sich an Lizzi.
IX.
Harte Brotstücke schwammen in abgestandenem Wasser. Der Blechnapf
vor ihr war halb gefüllt. „Wir haben nur fünf Minuten, also beeile
dich“. Heather ging auf die Knie, beugte sich über den Napf und begann
hastig zu schlürfen. Die Ketten an ihrem Körper schwangen rhythmisch.
Zum ersten Mal sah Selina die schwere Handschellen auf dem Rücken
ihrer Zellennachbarin. Seit 30 Jahren musste die alte Amerikanerin ihr
Essen auf diese demütigende Weise zu sich nehmen. Wie ein Tier. Vermutlich
konnte sie es schon gar nicht mehr anders.
„Hm! Lecker Frühstück“, brummte Lizzi und begann ihrerseits,
Wasser und Brot zu schlecken. Auch die anderen Häftlinge
knieten über die Blechnäpfe gebeugt, die ihnen die Töchter
der Wärterinnen gebracht hatten. Handlangerinnen nannte man die jungen
nackten Mädchen hier, die mit ihren Fußketten durch den Kerker
schlurften und ihren Müttern assistierten. Zwei der Schließerinnen
standen in der Zellentür und sahen den schmatzenden gefesselten Frauen
am Boden ungerührt zu. Eine von ihnen hielt die Arme vor ihrem nackten
Oberkörper verschränkt, ihre Kollegin hatte die Hände in
den Hosentaschen ihrer hellblauen Jeans. Vier kleine Handlangerinnen hockten
nebeneinander im Gang und tranken aus den Näpfen. Zumindest durften
sie die Hände benutzen.
Es war Morgen, kurz nach Fünf. Selinas erster Tag auf der Teufelsinsel
hatte mit Peitschenhieben und Gebrüll begonnen. Die junge Frau hatte
keine Ahnung, wie sie es fertiggebracht hatte, Schlaf zu finden. Das Gesicht
schutzlos auf den Stein gebettet, weil ihre Hände in Ketten auf dem
Rücken lagen, ihre Schultern waren verspannt, das Eisen um den Hals
rieb schmerzhaft. Als sie die Peitsche weckte, fand Selina ihr Gesicht
in Lizzis Busen vergraben.
Zitternd tauchte Selina den Kopf in den Blechnapf, schlürfte die
Brotstücke aus dem bitteren Wasser. „Ich halte das nicht aus!“, wimmerte
sie.
Heather, Donita und Jodi hatten ihren Napf schon geleert, als die Wärterinnen
grob zum Aufbruch drangen. Mit einem Schlüssel lösten sie die
Halsschellen der Gefangenen von der Kette am Boden, während die Handlangerinnen
das Blechgeschirr einsammelten. „Aufstehen, ihr Schlampen! An die Arbeit!“,
schrien beide Aufseherinnen. Kettenrasselnd erhoben sich die acht Insassinnen
der Zelle. Mit gesenkten Köpfen trotteten sie auf den dunklen Gang,
die kleine Jodi schlurfte mit wogendem Busen voran, es folgten Donita,
dumm grinsend wie immer, dann die langbeinige Sasa, dahinter Pauline und
ihre Tochter Lisa, schließlich Heather und Selina. Lizzi lief am
Ende der Reihe. Die schweren Fußketten erlaubten nur langsame Schritte,
die Kette, mit der alle Fußeisen verbunden waren, gestaltete
den Marsch noch mühevoller.
Immer wieder zuckte durch Selina der Reflex, im Angesicht einer fremden
Frau ihren nackten Busen oder ihre nackte Scheide zu bedecken. Und immer
wieder zerrte sie dann hilflos an den Handschellen hinter ihrem Rücken.
Sie ahnte, dass sie hier dies Schamgefühl bald verlieren würde.
Erbärmlich schlurfend erreichten sie den Hof. Hier standen schon
andere Zellenbesatzungen. Je acht Frauen an den Füßen zusammengekettet,
die Hände auf den Rücken gefesselt, nackt und apathisch. Um sie
herum wachten Wärterinnen mit gezückten Peitschen, die braungebrannten
bloßen Oberkörper bildeten einen strahlenden Kontrast zu ihren
hellen
Jeans. Zwischen zwei Häftlingsreihen stand Chlorisse. Zu Selinas Erstaunen
lief auch die Oberaufseherin an diesem Morgen mit nacktem Oberkörper.
Eine schwarze Hose umspannte ihre muskulösen Beine. Die Frau grinste
gemein. Selbst ihr Busen schien Furcht erregend.
„Ey, schau mal da! Unsere Freundin Ophelia hat nette Gesellschaft“,
sagte Lizzi strahlend zu Selina. „Das geschieht der arroganten Kuh recht!
Das finde ich fast schon wieder cool von den Wärterinnen.“
Die Gangsterbraut war in eine Reihe von sieben tief schwarzen Afrikanerinnen
gekettet. Dina lief vor ihr. Ophelia blickte missmutig zu Boden. Ihre Haare
hingen wirr ins Gesicht. Wie schlaftrunken torkelte sie vom Fleck. Von
der Diva früherer Tage war nichts mehr zu sehen. Ophelias schwarze
Kettengefährtinnen würden der gemeinen Rassistin bis zum Galgen
hautnah und innig Gesellschaft leisten.
„Wow“, staunte Lizzi, „was für ein Kontrast. Das einzige, was
die da gemeinsam haben, sind die Ketten. Und natürlich die dicken
Titten.“
Zwei Reihen weiter schleppte sich Cori über den lehmigen Boden.
Die zierliche Schönheit war zwischen zwei stämmige Nordafrikanerinnen
gekettet. Selina sah, wie Cori auf dem Rücken die Fäuste
ballte. Die Kleine schlurfte tapfer vorwärts. Cori wirkte trotz ihrer
Nacktheit würdevoll. Nicht so abgestumpft, ja verhärmt wie die
Häftlinge vor und hinter ihr. Ihre unglaublich langen schlanken Beine
wirkten wegen der dicken Ketten an den Füßen noch viel feingliedriger.
In Coris Nacken baumelte der Zopf, den ihr Dina auf dem Marsch zur Insel
geflochten hatte. Am Ende der Reihe lief Lara, die Drogenschmugglerin.
Sie ließ den Kopf besonders tief hängen. Das wunderte, denn
bisher hatte die üppig gebaute Gefangene ihr Schicksal gelassen aufgenommen.
Lara war 38 und hatte über die Hälfte ihres Lebens im Kerker
verbracht. Graue Strähnen schimmerten in ihrem langen Haar.
Trotz der morgendlichen Stunde wallte schon warme Luft um die nackten
Leiber der Gefangenen. Keine Wolke stand am Himmel, die Umgebung wurde
immer öder. Peitschenhiebe trieben die Frauen voran.
Nach gut einer halben Stunde mühsamen Marsches mussten die Häftlinge
stehen bleiben und niederknien. Die Wärterinnen schritten die Reihen
ab und lösten die Handschellen. Welche Erlösung. Es war sechs
Uhr. Von der demütigenden Prozedur bei der Ankunft abgesehen, als
sie sorgfältig in Ketten gelegt wurden, waren Selinas Hände seit
dem Morgen des vergangenen Tages ununterbrochen am Rücken gefesselt.
Erleichtert ließ sie die verspannten Schultern kreisen, bis sie zu
ihrem Entsetzen bemerkte, wie viele ihrer Mitgefangenen die Gelegenheit
nutzten, um sich in den Schritt zu greifen. Beklommen sah sie zur Seite.
Die Wärterinnen drückten ihnen Harken in die Hand, mit denen
sie den kargen, harten Boden durchpflügen mussten. Andere Gefangene
schaufelten die mühevoll gewonnene Erde auf hölzerne Karren,
an die sie je zu zweit gekettet waren, und schoben die Fracht zurück
in den Gefängnisbereich. Dort saßen Sträflinge, die irgendein
brauchbares Mineral aus der Erde siebten. Der Job hier war natürlich
der angenehmste. Allerdings bekamen ihn nur Frauen, die mindestens 20 Jahre
Haft hinter sich hatten. Die anderen schwitzten auf dem Feld.
Selinas Rücken begann bald zu schmerzen. Unsicher tappte sie vorwärts,
drohte immer wieder, über die Verbindungskette zu stolpern. Die Sonne
stach gnadenlos. Jedes Verharren bestraften die Wärterinnen mit Peitschenhieben.
Niemand sprach. Heather summte vor sich hin. Sie versuche, wie in Trance
zu arbeiten, erklärte sie. Ohne völlig abzuschalten, halte sie
die Qual nicht aus. Sie wusste, wovon sie sprach. Heather schuftete auf
diesem Feld schon seit 30 Jahren.
Mittags durften die Häftlinge eine halbe Stunde rasten. Diese
kurze Zeit blieb die angenehmste des Tages. Ohne Handfesseln lagen die
Gefangenen nebeneinander und durften Wasser trinken, das die Handlangerinnen
aufs Feld trugen.
Schweißüberströmt saß Selina im Staub und rieb
ihre schmutzigen Fußsohlen. Erleichtert registrierte sie, dass die
Eisenschellen zwar eng über den Knöcheln saßen, aber die
Haut nicht blutig scheuerten. Das würde nötig sein.
Trotz der Müdigkeit raste ihr der immer gleiche Gedanke durch
den Kopf: Das ist jetzt dein Leben. Deine verdammte nackte Existenz. Ich
bin doch erst 18, dachte Selina. Wie viele Jahrzehnte muss ich wohl noch
so elend im Dreck wühlen?
Heather neben ihr wippte rhythmisch, die Augen geschlossen, ein Finger
steckte in ihrer Scheide. Ebenso wand sich Donita stöhnend am Boden.
Jodi klimperte gedankenverloren mit ihrer Fußkette, Sasa vergrub
das Gesicht zwischen ihren Knien und weinte. Pauline hielt ihre Tochter
im Arm. Lizzi massierte ihren Busen. In der Ferne sahen sie, wie die Schwarzafrikanerinnen
die schreiende Ophelia schlugen. Als einzige waren ihr die Hände auch
in der Pause auf den Rücken gefesselt. Die Wärterinnen quälten
sie mit ähnlicher Hingabe wie ihre Kettengefährtinnen. Bald wohl
würde Ophelia den erlösenden Strick herbei sehnen.
„Scheiße hier, was?“, Lizzi hatte aufgehört, ihren Busen
zu reiben, und streckte sich. „Da hocken wir nun, Kleine, und müssen
gemeinsam alt werden. Wenn sie uns lassen, natürlich.“ Die Ägypterin
lächelte müde.
„Es kann doch nicht wahr sein, dass sich hier viele schamlos selbst
befriedigen, mitten auf dem Feld“, sagte Selina mit Seitenblick auf die
stöhnende Heather.
„Wann sollten sie es denn sonst machen, wenn sie ihre Hände nachts
nicht frei haben?“, erklärte Lizzi. Mit verführerischem Grinsen
fügte sie an: „Und nicht jede Gefangene ist neben so eine begeisterte,
erfahrene und zärtliche Mösenleckerin gekettet wie du.“ Mit diesen
Worten drückte sie Selina einen Kuss auf den Mund. „Oder etwa nicht,
du süße nackige kleine Nutte.“ Lizzi küsste sie erneut,
stöhnte leise, aber lustvoll ins Ohr ihrer Kettengefährtin.
Selina dachte an die Nächte im Gerichtsverlies und schwieg verlegen.
Rüdes Gebrüll der Wärterinnen trieb die Frauen zurück
an die Arbeit. Missmutig packten die zusammengeketteten Sträflinge
ihre Harken und schleppten sich auf ihre Plätze. Kräftezehrende
Monotonie beherrschte wieder das öde Feld. Provozierend lässig
schlenderten die Aufseherinnen in ihren Jeans auf und ab, führten
lockere Gespräche, lachten, rauchten und teilten dann und wann einen
Hieb aus.
Selina presste die Lippen zusammen. Staub klebte an ihrem nackten Leib,
unter den Füßen brannte der Boden. Um ein Haar verfing sie sich
in der Kette, die sie mit Heather verband. Selina taumelte. Schluchzte.
Stand kurz davor zu schreien.
Plötzlich bemerkte Selina aus dem Augenwinkel, wie Cori stöhnend
auf die Erde sank. Die Kleine hatte offenbar keine Kraft mehr. Die Frauen
vor und hinter ihr in der Reihe harkten unbekümmert weiter. Vielleicht
aus Angst. Einen Augenblick später prügelten schon zwei Wärterinnen
auf das 15-jährige Mädchen ein. Coris Kreischen schallte über
das Feld. Doch die Peitschen knallten gnadenlos auf der hellbraunen Haut
der jüngsten Gefangenen. Sie schluckte Staub, prustete, rang um Atem,
wand sich schmerzverzerrt am Boden. Gnadenlos droschen die Aufseherinnen
weiter auf das weinende Mädchen ein.
„Hört sofort auf ihr dreckigen Luder!“, brüllte Lara am Ende
der Kette, packte ihre Harke und schlug die Wärterinnen. Einmal. Zweimal.
Dreimal. Die beiden Frauen duckten sich erschrocken weg. Lara schwang die
Waffe, ihr Blick blitzte hasserfüllt. Fünfmal traf sie die nackten
Oberkörper der Gegnerinnen. Doch als sie zum sechsten Hieb ausholen
wollte, stolperte die über die Kette an den Füßen. Sofort
rangen sie herbeigeeilte Wächterinnen grob nieder. Rasch waren Laras
Hände gefesselt. Dann wurde sie von der Verbindungskette gelöst
und davon geschleift. Sie schrie hysterisch.
„O weh“, sagte Lizzi. „Blöde Aktion. Das geht nicht gut aus.“
Selina atmete schwer. „Das war großartig von Lara.“
„Schon“, antwortete Lizzi knapp, „aber es wird ihr außer Cori
niemand danken.“
Aufgeregt trieben die übrigen Aufseherinnen die Gefangenen wieder
zur Arbeit. Quälend langsam vergingen die Stunden. Der schlimme Vorfall
lähmte die Sträflinge. Mit zitternden Händen harkte Selina
den harten Boden. Wenigstens hatten sie Cori Schonung gegönnt. Gekrümmt
lag sie abseits der Zwangsarbeiterinnen, die Hände auf den Rücken
gefesselt, an einen leeren Holzkarren gekettet.
Selinas erster Arbeitstag auf der Teufelsinsel endete, wie er begonnen
hatte: mit rüdem Gebrüll. Es musste gegen sechs Uhr abends sein,
als sie die Wärterinnen endlich zum Aufbruch drängten.
„Auf die Knie! Hände auf den Rücken!“ Es folgte ein minutenlanges
Kettenklirren. Selina überfiel erneut das Gefühl totaler Hilflosigkeit,
als sie gehorsam die Arme hinter ihren Körper legte, sich das kalte
Metall schaurig um ihre Handgelenke legte und das Schloss der Schellen
zuschnappte. Jetzt muss ich wieder zwölf Stunden lang gefesselt sein,
murmelte die Deutsche verzweifelt. Zwölf Stunden die Arme nicht bewegen
können. Zwölf Stunden alles und jedem schutzlos ausgeliefert
sein. Zwölf Stunden werde ich mich nackter als nackt fühlen,
dachte Selina. Ketten am ganzen Körper. Und das nun jede Nacht.
Die Sonne stand schon tief, als sie die Ziegelbaracken erreichten.
Auf dem Hof kam der Zug der Gefangenen abrupt zum Stehen. Chlorisse baute
sich mächtig vor den Kettensträflingen auf. Immer noch war ihr
brauner Oberkörper nackt.
„So, meine Damen“, begann die Oberaufseherin. „Heute habe ich eine
unschöne Nachricht erfahren müssen. Eine von euch hat rebelliert.
Böse Sache. Sowas tut man nicht.“ Gelassen fuhr sich Chlorisse durch
die lange schwarze Mähne.
„Ihr wisst ja, was wir hier von Aufruhr halten. Blöderweise hat
es ein Neuzugang offenbar nicht gewusst. Naja egal. Jetzt lernt sie es.“
Mit der Peitsche deutete Chlorisse nach rechts. Selina durchzuckte
es wie ein Stromschlag. Vor einer Baracke stand Lara. Oder besser das,
was von ihr übrig war. Blut troff vom wund gepeitschten Rücken
der 38-jährigen Gefangenen mit dem graumelierten Haar. Ihr Oberlippe
war aufgeplatzt. Sie atmete schwer. Aber noch etwas war anders: Lara trug
keine Fußschellen mehr. Auch das Halseisen fehlte. Selina erkannte
nur ein Seil, das ihre Hände eng auf den Rücken fesselte. Laras
Blick ging ins Leere.
„Scheiße, scheiße“, entfuhr es Lizzi. „Sieh jetzt besser
weg, Selina.“
Chlorisse ließ mehrmals die Peitsche auf Laras nackten Leib krachen.
Es wirkte, als spürte sie es nicht. Nicht mehr. Zwei Wärterinnen
packten sie an den Armen. Taumelnd erreichte sie ein niedriges Podest in
der Mitte des Hofes. Den Galgen. Die Gefesselte verfolgte teilnahmslos,
wie ihr Chlorisse einen dünnen Strick um den Hals legte. Eine Stunde
stand sie so, alle paar Minuten durchgepeitscht.
Selina hätte nie gedacht, dass sich ihr Entsetzen noch steigern
ließ. Ein Irrtum.
Kurz bevor zwei Wärterinnen das Ende des Seils durch den Ring
am Holzbalken führten, begann Lara leise, kaum vernehmbar zu weinen.
Die ersten Tränen waren gerade auf ihren Busen geflossen, da zogen
die Wärterinnen das Seil hoch. Langsam. Fürchterlich langsam.
Laras langen Beine strampelten durch die Luft.
Viele Häftlinge begannen zu schreien und übertönten
Laras Leiden. Chlorisse grinste, rauchte genüsslich eine Zigarette.
Als sie die Kippe wegwarf, zappelte Lara noch immer. Unbeeindruckt schlenderte
Chlorisse in die Wärterinnenhütte und kehrte kurz darauf mit
einem Leinenhemd zurück. Während die Chefin der Teufelsinsel
damit ihre Brüste bedeckte, endete das Zappeln der Frau am Strick.
Laras schlanker Körper baumelte regungslos in der Abendsonne.
Heather sprach als erste. „Beneidenswert. Die Arme hat es endlich hinter
sich.“ Wie viele Hinrichtungen mochte die grauhaarige Gefangene schon erlebt
haben?
Lizzi und Selina saßen Rücken an Rücken im Staub und
hielten sich gegenseitig die zusammengeketteten Hände. Selbst Donita
war das Grinsen vergangen.
„So werden wir auch enden“, presste Selina hervor, „stimmt‘s, Lizzi?“
Die Ägypterin schwieg lange. Dann sagte sie: „Ich glaube, Lara
wollte sterben.“
Selina weinte hemmungslos. Würgte. Wollte nur noch sterben.
X.
Schon nach zehn Minuten schmerzten ihre Gelenke höllisch. Das Seil
schnitt in die Haut, als Selinas gefesselten Händen an einer Querstange
im Gefängnishof aufgehängt wurden. Ihre Füßen baumelte
einen halben Meter über dem Boden, die schwere Kette daran vergrößerte
die Qual. Die Sonne brannte brutal. Pauline und Tochter Lisa hingen links
von ihr an der Stange, die dralle Jodi baumelte zu Selinas Rechten. Panisch
schaute die Deutsche immer wieder zu den Frauen an ihrer Seite, die scheinbar
teilnahmslos ihr Leid ertrugen, dann nach oben auf das Seil, das ihre Hände
an die Stange fesselte. Selina war fassungslos, wie die anderen so ruhig
bleiben konnten, während das Gewicht ihrer nackten Leiber an den Armen
zerrten. Langgestreckt schwangen sie im sanften Wind.
Hinter den Häftlingen saß Chlorisse im Schatten. Sie trug
heute nur ein Tuch aus Seide um die Hüften. Es war ein sehr heißer
Tag. Alle paar Minuten, immer nach einer Zigarette, griff die Oberaufseherin
zur Peitsche und drosch auf die Frauen ein, die vor ihr von der Stange
hingen. Es war Sonntag. Da ruhte die Arbeit. Zeit, um die Gefangenen auf
andere Weise zu quälen. Lizzi und die anderen aus ihrer Zelle baumelten
an der Stange daneben. Jede Woche wurden einige Zellengemeinschaften für
mehrere Stunden an den Händen an die Stange gehängt und ausgepeitscht.
Anschließend mussten sie in gewohnter Reihe im Kreis schlurften bevor
es zurück ins Loch ging. Der Rest der Häftlinge verbrachte die
Sonntage permanent in der Zelle. Vollständig gefesselt. Die Hände
auf dem Rücken. Doch das war wesentlich angenehmer als die Tortur
im Hof.
Nach den Handgelenken begannen Selinas Schultern zu schmerzen. Die
Arme wurden langsam taub, die Striemen am Rücken bluteten leicht.
Die Zeit verging nicht. Sie unterdrückte einen Schrei. Unter was für
Unmenschen war sie geraten.
Schweiß troff in Selinas Augen. „Sieh an, wie schwer ich bin“,
dachte sie bitter und betrachtete die Frauen neben sich. Jodi hielt ihren
kleinen Körper ruhig. Sie ertrug die Qual mit erstaunlicher Gelassenheit.
Ebenso Pauline und Lisa. Unter den Füßen der Frauen lagen die
dicken Handschellen. Die würden sie angelegt bekommen, sobald die
Hängepartie zu Ende war. Doch das Leiden dauerte an.
Eine gnädige Fügung wollte es, dass Schweißtropfen
Selinas Blick trübten und sie daher nur verschwommen mit ansehen musste,
wie in der Mitte des Hofs erneut eine Gefangene am Galgen starb. Seit dem
frühen Morgen stand die kleine Nordafrikanerin auf dem Holzpodest,
die Hände mit einem Seil auf den Rücken gefesselt, den Strick
um den Hals. Sie schien noch gar nicht sehr alt, höchstens Mitte 30,
sehr attraktiv. Dann, nach vielen qualvollen Stunden im Angesicht des Todes,
begann sie zu schreien. Verzweifelt. Immer lauter.
„Hängt mich endlich auf! Ihr gemeinen Luder! Hängt mich!“
„Halt’s Maul, du Nutte.“ Chlorisse und zwei Wärterinnen schlenderten
heran. „Du störst unsere Mittagspause.“ Chlorisse grinste hämisch.
„Wollen wir ihr nun Ruhe gönnen? Na, erst müssen wir die Beleidigungen
bestrafen.“
Die zierliche Frau begann zu zittern. „Bitte“, stöhnte sie. „Wartet
nicht länger und hängt mich endlich. Ich steh hier schon seit
Sonnenaufgang. Bitte hängt mich!“
Die Wärterinnen unterhielten sich grinsend. Hart traf die Peitsche
den nackten Körper der Gefangenen. Es knallte laut.
„Das ist Tonya“, flüsterte Pauline. „Frau eines hohen Regierungsbeamten.
Leider ist sie heimlich anschaffen gegangen. Sie war bestimmt über
zehn Jahre hier.“
„Warum muss sie so jung sterben?“, fragte Selina.
„Chlorisse hasst Nutten. Nutten werden hier nie alt.“
Selina schauderte. Ich, dachte sie, ich bin doch auch eine Nutte.
Tonyas Schreie verwandelten sich immer mehr in Kreischen. „Hört
endlich auf, bitte! Macht ein Ende, ich kann nicht mehr. Hängt mich!
Bitte! Hängt mich!“
„Die winselt ja schon“, sagte Chlorisse verächtlich und holte
wieder aus.
„Lasst mich sterben!“ Tonya schwankte. Aus Kreischen wurde Krächzen.
Nach ungezählten Schlägen packte Chlorisse persönlich
das Seil und zog es an. Stück für Stück. „Is ja gut, du
elende Nutte“, waren ihre letzten Worte an Tonya.
Selina schloss die Augen. Aber sie musste das Ende der Frau mit anhören.
Lang und deutlich tönte das grässliche Röcheln.
Eine weitere Prügelrunde später schlenderte Chlorisse mit
wiegenden Hüften auf die Bank vor ihrer Hütte, legte das Tuch
ab und bettete sich zum Mittagsschlaf.
Wenigstens ruhte mit der Aufseherin auch die Peitsche.
Zu Selinas Erstaunen fand Pauline die Kraft zu sprechen. Hing in ihren
Fesseln über dem Boden, ihr schlanker Körper pendelte leicht,
die Fußkette klirrte – aber die Frau erzählte. Vom traurigen
Schicksal ihrer Tochter Lisa, die auf dieser Horrorinsel geboren wurde,
und trotz ihrer Jugend an der Stange baumeln musste.
Wie Lizzi war auch Lisa mit zwölf Jahren von der Teufelsinsel
entlassen worden. Nackt wurde sie am Festland ausgesetzt. Und wie Lizzi
hatte das Mädchen, das nur den Kerker kannte, draußen keine
Chance. Doch anders als die lebenstüchtige Ägypterin erging es
der kleinen Lisa in Freiheit schlechter. Acht Monate lang vegetierte sie
hungernd in einem alten Keller am Rand der Stadt, traute sich nur nachts
hinaus. Sie hatte es nicht einmal zu Kleidung gebracht, da fiel sie einem
Zuhälter in die Hände. Er kettete dem Mädchen die Hände
vor den Bauch und befestigte die Schellen an einer Wand seines Bordells.
Hier litt Lisa über ein Jahr lang. Nur einmal pro Woche durfte sie
ein paar Schritte tun, die zarten Hände zur Abwechslung auf den Rücken
gefesselt. Eine Attacke gegen einen Freier später kehrte sie zu ihrer
Mutter auf die Teufelsinsel zurück, 14-jährig, von der freien
Welt völlig überfordert, froh, wieder im vertrauten Verlies zu
sein.
„Was für Schweine, die einem kleinen Mädchen sowas antun“,
sagte Pauline mit Blick auf ihre Tochter. „Gerade 16 ist Lisa jetzt. Nur
zwei Jahre hat sie außerhalb von Kerkermauern verbracht. Nur ein
halbes Jahr war sie wirklich frei, wenn man das so nennen kann. Seit ihrer
Geburt ist die arme Kleine nackt, und ich bin an allem schuld. Dabei habe
doch damals nur meinem prügelnden Mann, also Lisas Vater, eins über
den Schädel gezogen. Er ist nicht mal dran gestorben.“
Traurig sah Pauline wieder nach Lisa, die unbewegt am Seil hing und
starr nach vorne blickte. Erneut fielen Selina Lisas schlanke Füße
auf. „Du wärst ein süßes Hippie-Mädchen. Barfuß
im bunten Kleidchen“, dachte Selina und wunderte sich sogleich, wie sie
gerade jetzt auf solche Gedanken kam.
Selina fiel es immer schwerer, sich auf die Erzählungen ihrer
Leidensgenossin zu konzentrieren. Der Schmerz wurde unerträglich.
Zwei kleine, kaum 15-jährige Handlangerinnen saßen im Schatten
einer Baracke und küssten sich heftig. Bis auf die Fußkette
waren sie nackt. Daneben beaufsichtigte eine dralle 16-Jährige eine
Gruppe sehr junger Töchter von Gefangenen. Viele waren noch ganz klein,
einige von ihnen schien älter als zehn Jahre. Deshalb durften sie
nur gefesselt nach draußen. Dünne Seile banden ihre Handgelenke
vor den Bäuchen zusammen. Ein langbeiniges Mädchen kauerte abseits.
Nackt wie alle, mit einem Unterschied: Ihre Arme waren auf den Rücken
gefesselt. Traurig sah sie zu Boden, konnte beim Spielen nur zusehen. Vermutlich
wurde sie bald 14. Dann würde sie als Erwachsene behandelt werden
und schwere Ketten bekommen.
Neben den Kleinen schlüpften drei Aufseherinnen aus ihren Jeans,
um sie als Ruhekissen zu benutzen. Tonyas regloser Körper drehte sich
im Wind.
Jodi mit dem dicken Busen hatte in der Zelle kaum gesprochen. Sie litt
leise. Um so erstaunlicher, dass sie ausgerechnet hier an der Stange zu
erzählen begann. Mit großen traurigen Augen sah sie Selina an.
Jodi war 28 und Schmerz gewohnt. Als uneheliche Tochter einer Magd
stand sie in der Hierarchie ganz unten. Als Kind diente sie auf einer Farm.
„Mit 12 bin ich zum ersten Mal ins Gefängnis gewandert. Die Herrin
hat mich zu Unrecht beschuldigt, zwei Laib Brot gestohlen zu haben. Ich
hatte keine Chance. Für vier Jahre haben sie mich angekettet.
Das solle mir eine Lehre sein, sagten die Richter. Die Frauen im Kerker
waren viel älter als ich. Die Schellen haben mir zuerst kaum gepasst.
Aber ich bin da schon reingewachsen.“
Aus der Ferne tönten Schreie. Selina erkannte Ophelias Stimme.
Der arroganten Gangsterbraut schien es inmitten der Afrikanerinnen
nicht gut zu gehen.
Tonlos sprach Jodi weiter.
„Als ich entlassen wurde, wartete schon mein früherer Herr vor
dem Gefängnis. Zur Begrüßung hatte er einen Strick dabei,
mit dem er mich verschnürt hat. Dann schleifte er mich zurück
auf die Farm. Da ging es gleich weiter mit der Sklavenarbeit. Ich durfte
nur einen Rock tragen. Sonst nichts. Dieses perverse Schwein sagte, dass
er den Anblick meiner wackelnden Brüste liebte. Damit ich nicht fliehen
konnte, haben die mir eine dicke Fußkette verpasst. Die musste ich
dauernd über die Plantagen schleppen. 14 Stunden am Tag, sechs Tage
die Woche habe ich geschuftet. Es war so demütigend.“
Zwei Handlangerinnen schlurften händchenhaltend an den baumelnden
Frauen vorbei, Fußketten schepperten, Schweiß glänzte
auf ihren nackten Leibern.
Jodi blickte den Mädchen nach. „Wirklich besser haben‘s die auch
nicht“, meinte sie. „Sind zwar nicht so elend gefesselt wie wir, ihr Leben
ist aber trotzdem die Hölle. Die Kleinen werden hier sterben, bloß
wissen sie es nicht.“
„Was hast du verbrochen, um hierher zu kommen?“, wollte Selina wissen.
Jodi schwieg lange. Hob kurz den Blick zu ihren gefesselten Händen.
„Sie haben mich am Abend im Schweinestall eingesperrt. Sonntags durfte
ich spazierengehen, aber nur in Handschellen. Danach haben sie mich vergewaltigt.
Immer. Eines Tages habe ich es nicht mehr ausgehalten und zurückgeschlagen.
Eine Woche lang bin ich darauf gefesselt in der Keuche gelegen und habe
jede Stunde die Peitsche gekriegt. Dann kamen Polizisten und schleppten
mich vor Gericht. Die haben mich auf die Insel geschickt. Da war ich 18.
Das ist jetzt zehn Jahre her. Seither trage ich noch mehr Ketten als auf
der Farm.“
Jodi hing stumm im Seil. Es schien, als spüre sie keinerlei Schmerz.
„Musst entschuldigen“, sagte die Gefangene mit de, dicken Biusen, „dass
ich auf dich einplappere. Schließlich hängst du hier zum ersten
Mal. Doch keine Sorge. Nach einigen Jahren wirst du dich selbst an diese
Qual gewöhnen.“
Jodi meinte es gut, erreichte aber das Gegenteil. Ein Anfall von Verzweiflung
schüttelte Selinas Körper. „Einige Jahre, einige Jahre“, flüsterte
sie vor sich hin.
Verlegen versuchte Jodi, das Thema zu wechseln.
„Mit euch ist doch die Ophelia hierher gekommen, oder? Die kenn‘ ich
schon. Mit der saß ich in El Inar im Loch. Als sie eingeliefert wurde,
war ich 14, und sie war ungefähr 20. Komische Frau. Totale Bonzen-Tussi,
aber im Kerker scheint es ihr gefallen zu haben. Hat von Ketten nicht
genug bekommen können, und wenn es die Peitsche gab hat sie wie geil
gestöhnt. Auch an der Stange hatte sie offenbar Spaß. Da hingen
wir so wie jetzt. Nur öfter.“
Ungläubig schüttelte Jodi den Kopf.
„Ophelia ist echt eine Drecksau. Sie hat es uns allen besorgt. Ständig.
Gründlich. Ophelia war die einzige Frau, die mich mit der Zunge zum
Orgasmus gebraucht hat. Gefesselt war sie besonders scharf.“
Zum ersten Mal lächelte die Gefangene mit den traurigen Augen.
Selina schluckte herunter, was sie sagen wollte: „Hör doch auf
mit deinen Leck-Geschichten. Das ist das Letzte, was ich jetzt brauche.“
Doch Jodi verstummte von allein. Denn Chlorisse begann wieder eine
Prügelrunde. Nun trug sie einen langen schwarzen Rock. Die Oberaufseherin
liebte es, sich mehrmals täglich umzuziehen, ihren Busen zu
bedecken und wieder zu entblößen. Das sollte zeigen, dass sie
als einzige richtige Kleidung besitzen durfte. Wenn Chlorisse Röcke
oder Tücher um die Hüfte trug, ließ sie ihren Oberkörper
stets nackt. Nur Jeans kombinierte sie mitunter mit einem Ledertop oder
bauchfreien Shirts. Morgens hatte sie gerne ein langes Herrenhemd an. Ohne
Hose.
Ihr riesiger Busen wackelte bedrohlich, als sie mit der Peitsche ausholte.
Die Frauen fingen wieder an zu wimmern.
Selina sah Heather an der Stange gegenüber hängen. Die alte,
aber immer noch attraktive Gefangene lächelte herüber. Der Anblick
gab Selina den Rest.
Fast besinnungslos vor Hitze und Schmerz schoss Selina plötzlich
ein Horrorbild durch den Kopf. „So wie Heather werde auch ich hier noch
in 30 Jahren baumeln. Ein alt gewordenes Hippie-Mädchen mit Falten
und grauen Locken.“
Dann wurde es schwarz vor Selinas Augen.
XI.
Sasas Schreie schallten ohrenbetäubend durch den Kerker.
Ihr langer schlanker Körper bebte, Arme und Beine strampelten
in den Fesseln.
Chlorisse stand in der Zellentür und schaute unbeeindruckt auf
die Gefangene herab. Sie trug eine schwarze Jeans und ihre Peitsche. Sonst
nichts. Hinter der stämmigen Kommandantin warteten vier ebenso kräftige
Wärterinnen. Eine von ihnen hielt ein Seil. Sie grinsten.
Pauline und Lisa sahen Sasa an und weinten. Vor Freude.
„Okay, Sasa“, hatte Chlorisse zuvor gebrummt. „Da draußen warten
zwei kleine Gören und wollen unbedingt zu dir.“
„Nina und Nelli!“, kreischte Sasa auf.
„Ja, so heißen die beiden Schnuckelchen.“ Chlorisse lächelte
verschlagen.
„Meine Mädchen!“ Sasa begann zu toben. „Sie kommen mich besuchen!“
„Viel besser noch, Sasa“, sagte Chlorisse, „sie kommen dich nicht nur
besuchen, die beiden kommen für immer.“
Sasa schrie noch, als zwei wunderschöne Mädchen die Zelle
betraten. Nina und Nelli. Sie sahen sich nicht absolut ähnlich, schienen
aber ihrer Mutter im besten Sinn aus dem Gesicht geschnitten. Dieselben
verführerischen Mandelaugen und markanten Wangenknochen, der gleiche
nussbraune Teint. Selbst die Beine der 14-jährigen Mädchen waren
schlank und lang wie die Sasas. Noch etwas hatten Mutter und Töchter
gemeinsam: Ketten an den Füßen, Handschellen auf dem Rücken,
einen Metallring um den Hals. Außer Fesseln trugen sie nichts am
Leib.
Nina und Nelli standen sichtbar zwischen Euphorie und Entsetzen. Ketten
und Blöße ungewohnt, dazu ihre nackte Mutter fast bewegungsunfähig
in dem entsetzlichen Kerker – ihrem neuen Zuhause. Die Mädchen unterdrückten
Tränen.
Die Kette an Sasas Hals spannte sich, als sie ihre Töchter mit
Küssen übersäte. Es war ihnen nicht vergönnt, sich
zu umarmen.
„Echt unglaublich“, sagte Chlorisse zu ihren Scherginnen. „Die zwei
schauen aus wie Engelchen, und dann murksen sie ihren Vater ab. In der
gemeinsamen Villa. Mit einem Messer. Es heißt, sie wollten
erwischt werden. Schön blöd.“
„Das Schwein ist tot“, sagte Nina trocken. „Jetzt tut er uns nie mehr
weh.“
„Und wir sind endlich bei dir, Mami“, ergänzte Nelli. Aus dem
Mund zierlicher 14-Jähriger klangen diese Worte um so härter.
„Ja, und zwar für immer, ihr dummen Gören. Echt reife Leistung“,
grunzte Donita.
„Ach ja, meine Damen“, tönte Chlorisse ernst. „Die Ankunft von
Sasas reizenden kleinen Mörderfratzen ändert natürlich einiges
hier.“
Die Wärterinnen rückten näher.
„Ich will es kurz machen“, fuhr Chlorisse fort. „Weil die Mädels
bei ihrer Mutter im Loch hocken dürfen, müssen zwei von euch
weg.“
Chlorisse grinste herausfordernd.
„Du, Pauline, wirst ab heute eine Wärterin sein. Und dich, Donita,
hängen wir am nächsten Sonntag auf. Wird ja auch Zeit.“
Zu aller Überraschung war es Heather, die zu brüllen anfing.
„Warum dieses fette gemeine Drecksluder? Ich bin schon viel länger
hier. Mich sollt ihr aufhängen. Mich! Hängt mich endlich, ihr
Schlampen!“
„Halts Maul, Heather, du bist noch lang nicht dran.“ Chlorisse hob
die Peitsche.
Zum ersten Mal sah Selina die Amerikanerin weinen. „Ich liege hier
seit 30 Jahren wie ein Tier. Ich kann nicht mehr. Ich will den Strick!
Ich hab mir den Galgen verdient. Seid doch einmal gnädig. Hängt
mich endlich!“
Chlorisse schlug zu, bis Heather nur noch leise schluchzte.
Donita blieb völlig ruhig. Gelassen verfolgte sie, wie sie die
Wärterinnen von den Ketten befreiten. Offenbar hatten sie mit Gegenwehr
gerechnet, denn sie waren gleich zu viert gekommen, um die kräftige
Frau zum Galgen zu führen. Doch sie ließ alles geschehen. Zuerst
wurden die Ketten an Donitas Händen gelöst. Sofort fesselte sie
Chlorisse mit einem dünnen Seil wieder auf dem Rücken zusammen.
Dann fielen die Fußketten ab, schließlich das Halseisen.
Bei Pauline dauerte diese Prozedur wesentlich länger, weil sich
die Fußkette nur schwer öffnen ließ. Immerhin waren die
Schlösser das letzte Mal vor 16 Jahren bewegt worden. Ungläubig
rieb sich Pauline die Handgelenke. Ketten waren für sie nun Vergangenheit.
Ebenso ungläubig starrte die weiter angekettete Lisa ihre Mutter an.
Eine Träne kullerte auf ihren nackten Busen.
„Entschuldige, Kleine“, presste Pauline hervor. „Aber ich habe keine
Wahl.“
Lächelnd stand Donita in der Zelle, Wärterinnen hielten ihre
gefesselten Arme in festem Griff. Chlorisse legte ihr den Strick um den
Hals.
„Einen Wunsch hast du noch, fette Kuh.“
Donita überlegte nicht lange. „Ich will, dass es mir eine von
euch ordentlich besorgt. Und zwar mit der Zunge.“
„Kein Problem“, meinte Chlorisse. „Das macht Pauline – zum Einstand.“
Die neu ernannte Wärterin zuckte zusammen. Sie hatte keine Wahl.
Mit Blick auf Lisa raunte Chlorisse in Paulines Ohr: „Du weißt,
was mit Lisa und dir passiert, wenn du Scheiße baust, Fräulein?“
Pauline nickte stumm. Sie durfte sich keinen Fehler erlauben.
Chlorisse knallte die Peitsche auf den Boden. „Okay“, befahl sie. „Die
Mädchen werden jetzt links und rechts neben Sasa gekettet, Donita
fesselt ihr am Galgen fest. Vier Tage wird sie da wohl warten müssen.
Genug Zeit für Pauline, sie zum Abschied ordentlich zu lecken. Abmarsch!“
„Ciao Mädels“, rief die derbe Donita lächelnd. „Viel Spaß
noch auf der Insel.“
Danach führten sie die Mörderin ab. Ihre Hinrichtung würden
die anderen am Sonntag miterleben, während sie an den Händen
an den Stangen im Hof hingen.
„Verrecke elend, du teuflisches Weib!“, brüllte Heather unter
Tränen.
„Keine Sorge“, raunte eine Wärterin der Amerikanerin tröstend
ins Ohr, „Donita kriegt natürlich den ganz dünnen Strick. Wird
echt grausig für sie.“
Unsicher stolperte Pauline hinter den Wärterinnen her. Sie kannte
es nicht mehr, ohne schweres Eisen an den Füßen zu laufen.
Kettenrasselnd wurden Nina und Nelli an ihren Plätzen festgemacht.
Ihre Mutter bebte vor Glück. Die Freude über das Wiedersehen
mit ihren Zwillingen überwog noch die Tragik der Umstände. Sie
küsste und küsste die gefesselten Mädchen.
Lisa schloss die Augen und drehte sich zur Seite. Sie weinte.
Jodine saß zusammengekauert, drückte mit den Knien ihren
Busen.
Heather presste schluchzend ihr Gesicht auf den Boden.
Lizzi blickte Selina tief in die Augen. „Ganz schön miese Stimmung,
was? Naja, war ja auch bisschen viel auf einmal.“
Nachdenklich lugte Lizzi aus ihrer Ecke auf die übrigen Zelleninsassinnen.
„Lass‘ uns auf andere Gedanken kommen, Süße.“
Wie auf Kommando spreizte Selina die Beine. Stöhnend vergrub Lizzi
ihren Kopf zwischen den Oberschenkeln ihrer Kettengefährtin.
Schnell kamen sie auf andere Gedanken.
Epilog
Die Wärterin grinste beim Anblick ihrer Blöße. Reflexartig
versuchte Selina, ihre nackten Brüste zu bedecken, doch ihre Hände
lagen fest auf dem Rücken, wo sie seit dem Abend des Vortags mit schweren
Eisenschellen zusammengekettet waren. Und in all den Nächten davor.
Selina wusste nicht, wie lange sie schon in diesem Loch lag, wie viele
Stunden ihre Arme hinter dem nackten Leib gefesselt waren. Zahllose. Irgendwann
hatte sie das Zeitgefühl verloren und alle Hoffnung gleich mit. Monoton,
brutal und unendlich langsam verging die Zeit auf der Teufelsinsel. Nur
der Reflex, ihre Blöße bedecken zu wollen, wenn sie jemand anstarrte,
war noch nicht abgestumpft.
Die Jeans der Wärterinnen stand Pauline bestens. Der enge Hosenbund
machte deutlich, dass ihr Bauch trotz ihrer 38 Jahre noch sehr straff war.
Ihr runder Po kam im neuen Gewand prall zur Geltung. Unter dem weiten Schlag
der Jeans lugten bloße Füße hervor. Paulines nackter Oberkörper
strahlte in ebenmäßigem Braun. Ihre Brüste wogten. Eine
schöne Wärterin. Schön und gnadenlos.
Es musste wohl Sonntagnachmittag sein, denn die Fütterung lag
schon Stunden zurück. Apathisch dämmerten die Frauen vor sich
hin, nur froh, heute weder aufs Feld noch an die Stange zu müssen.
Sichtlich verlegen drückte Pauline ihrer gefesselten Tochter einen
Kuss auf die Backe. Doch Lisa drehte sich sofort demonstrativ weg. Nina
und Nelli schreckten kettenklirrend hoch, blickten verängstigt. Sasa
schien zu schlafen.
„Na, Paulinchen, heute schon Chlorisse lecken dürfen?“, rief Heather
gehässig.
Wortlos gab die Wärterin Heather eine Ohrfeige, ging weiter zu
Selina und löste die Kette an ihrem Hals sowie die Verbindungskette
an ihrem Fußeisen.
„Du musst mitkommen, Selina, da ist jemand für dich da.“
Selina riss die Augen auf. Jemand da? Soviel sie wusste, gab es auf
dieser Insel keine Besucher. Nie. Wer hierher kam, ließ alles hinter
sich. War verloren.
Mit verspannten Gliedern schlurfte Selina vor Pauline durch den dunklen
Gang. Das Fußeisen schleifte rasselnd über den kalten Steinboden.
Die Wärterin hielt eine kurze Kette, deren Ende an den Handschellen
auf Selinas Rücken befestigt war. Nach fast zehn Minuten erreichten
beide einen kahlen Raum in Chlorisses Behausung. Die Gefangene zuckte zusammen,
als sie klar sah: In der vergitterten Kammer standen – zwei Männer.
„Muss schon sagen“, flüsterte Pauline in Selinas Ohr, während
sie ihre Hände an den Ring am Boden kettete, „tolle Leistung von dir.
Männer hab ich schon seit 16 Jahren keine mehr gesehen. Und was für
Prachtburschen das sind!“
Zitternd und verwirrt zerrte Selina an ihren Handschellen. Da kauerte
sie nun, so kurz am Boden fest gekettet, dass sie nicht aufstehen konnte,
und zwei Männer sahen sie lächelnd an. Musterten ihren nackten
Leib von oben bis unten.
Freundlich lächelnd begann der erste zu sprechen. Er schien Ende
40 zu sein, schwarzes Haar, Schnauzbart, war edel gekleidet – und
sehr sympathisch.
„Ich bin Dr. Badubakabah, das ist mein Sekretär Hosni“. Er deutete
auf seinen Begleiter, einen attraktiven, gut gebauten Mitdreißiger
im Seidenhemd.
„Selina?“, begann er. „Selina Hardenberg? Aus Bremen?“ Beide lächelten.
„Bin ich“, stammelte Selina und senkte schamhaft den Kopf.
„Geboren am 25. Oktober 1980, weggelaufen im Mai 1998, verurteilt am
8. Oktober 1998 in Tabargha wegen vielfachen Beischlafdiebstahls? Ist das
korrekt?“
„Was weiß ich, wann diese Verurteilung war“, brummte Selina.
„Guten Tag Fräulein Hardenberg. Leider können wir Ihnen nicht
die Hand geben. Aber das kennen Sie ja schon.“
Selina wusste nicht, wie sie schauen sollte. Unsicher presste sie die
Oberschenkel zusammen, um ihre Scham zu verdecken. Hielt weiter den Kopf
gesenkt.
„Ich bin Anwalt in Tunis und komme im Auftrag der deutschen Botschaft
in Tunesien zu ihnen. Tabargha hat ja keine deutsche Vertretung, wie Sie
wissen.“
Die Gefangene durchfuhr es wie ein Blitz. Anwalt? Botschaft? Ruckartig
richtete sie sich auf, so weit es die Kette zu ließ. Ihr Herz raste.
„Wie haben heute den 30. September 1999“, fuhr Badubakabah fort. „Sie
sind also schon bald ein Jahr hier. Dafür sehen Sie wirklich noch
sehr gut aus.“
Dieser Kommentar irritierte Selina. Doch das gütige Lächeln
des Anwalts beruhigte sie sogleich. Ruhig kramte er in Papieren. Hosni
schwitze auffällig stark.
„Ihr Vater, Volker Hardenberg, hat uns beauftragt, Sie zu suchen und
Ihnen zu helfen. Das hat etwas gedauert, aber nun sind wir da.“
„Können sie mir denn helfen?“, fragte Selina aufgeregt.
Badubakabah ging lächelnd vor ihr in die Knie. „Ich glaube schon.“
Euphorisch richtet Selina ihren Oberkörper auf. Alle Nacktheit
war ihr im Moment ganz egal. Die Kette hinter ihrem Rücken klirrte
bei jeder Bewegung.
„Bitte helfen Sie mir!“ Jetzt fixierte sie den Anwalt mit festem Blick.
„Natürlich drehen sich bereits alle diplomatischen Räder,
Fräulein Hardenberg. Aber das Regime in Tabargha ist eben sehr stur.
Wir tun, was wir können.“
Der Anwalt musterte die Frau, die da in Ketten vor ihm auf dem Boden
kauerte.
„Diese Insel ist wirklich teuflisch“, begann er. „Hitze, Arbeit und
wenig behagliche Lebensumstände. Eine Schande, Gefangene so zu behandeln.“
„Es ist die Hölle. Völlige Menschenverachtung.“ Selinas Stimme
wurde fester.
„Wie recht Sie haben, Fräulein Hardenberg“. Der Anwalt kniete
weiter vor dem nackten Kettensträfling. Sein Sekretär schwitze
unvermindert.
„Ihr Schicksal ist höchst bedauerlich“, fuhr Badubakabah fort,
„Unfreiheit, wenig zu essen, nichts anzuziehen – und keine Männer
weit und breit.“
Irritiert wich Selina ein Stück zurück. „Was meinen Sie damit?“
Langsam stand der Anwalt auf. „Bumsen meine ich. Ihr Weiber braucht
es doch!“
Mit schnellem Griff öffnete Badubakabah seine Hose. Noch ehe Selina
schreien konnte, fiel der Mann über sie her. Die gefesselten Hände
drückten schmerzhaft in den Rücken der hilflosen Gefangenen,
als sie der Anwalt nahm und nahm und nahm. Gierig. Brutal. Selina wimmerte.
Der Mann brüllte vor Lust.
Als Badubakabah von Selina abließ, stand Chlorisse in der Tür.
Sie war nackt.
„Hosni!“, säuselte sie. „Ich habe noch lange nicht genug. Komm
doch nochmal!“
Der Sekretär ging auf sie zu, um weiter zu schwitzen.
„Ach Hosni“, bemerkte der Anwalt mit hämischem Grinsen. „Vergiss
nicht, dass Du Herrn Hardenberg schreibst: Wir konnten seiner Tochter leider
nicht helfen.“
Lachend öffnete Hosni sein Hemd und verschwand mit der Oberaufseherin.
„Und was ist mit mir?“ Pauline hatte ihre Jeans ausgezogen und strich
über ihre Brüste. Keuchend fiel sie vor dem Anwalt auf die Knie.
„Aber gerne, Kleine.“ Badubakabah packte Paulines Arme und fesselte
sie mit seinem Gürtel auf den Rücken. „So mag ich’s am liebsten.“
Selina lag regungslos am Boden, entkam dem stundenlangen Stöhnen
nicht. Als Hosni am Abend über sie her fiel, hatte sie keine Kraft
mehr zu schreien.
Auf dem Weg zur Zelle keuchte Pauline immer noch vor Erregung. Ihr
nackter Oberkörper glänzte schweißüberströmt.
Nachdem Pauline die Gittertür am Treppenabgang geöffnet hatte,
rammte Selina ihren Kopf in den Bauch der Wärterin. Fluchend purzelte
sie die Stufen hinab.
Selina spürte nichts, als sie die anderen Wärterinnen packten.
Selina spürte nichts, als die Peitsche auf ihren nackten Körper
klatschte.
Selina spürte nichts, als sie in das dunkle Loch geworfen wurde.
Selina weinte nicht, als Chlorisse das Urteil sprach.
Selina schlug nicht um sich, als die Wärterinnen kamen.
Es war gut, dass sie in Ketten lag.
Ende